Inszenierte Assoziation

Die erste große Albenveröffentlichung des Hamburger Comiczeichners Markus Huber: „Nichts von Bedeutung“ stellt Fragen nach Identität und gewaltsamem Ausschluss

von OLE FRAHM

Wie entsteht Bedeutung? Aufgrund einer Verwechslung. Wie uns die psychoanalytische Theorie lehrt, sehen wir – noch als Kind – in den Spiegel und lernen durch den Blick der Mutter, die uns wiedererkennt, dass wir uns selbst und nicht ein Spiegelbild sehen. Markus Huberts Arbeiten handeln von solchen Spiegelungen, durch die Bedeutung erst entsteht.

Doch keine Angst: Es ist weder eine psychoanalytische Abhandlung, die hier besprochen werden soll, noch ein theoretisches Traktat: Markus Huber zeichnet Comics. In seiner ersten großen Albenveröffentlichung Nichts von Bedeutung stellt er uns mit seinen Bildern und Geschichten die Frage, was wir sehen, wenn wir uns, wenn wir jemand anders im Spiegel sehen. Es ist diese Frage der Ideologie der Identität als Wiedererkennung, die Huber in seinem Comic stellt.

Markus Huber hat darin vier Songs einer Band illustriert, an die sich selbst in Hamburg nur wenige erinnern werden: Waldorf und Statler haben eine 1995 eine Split-Single zusammen mit Kante veröffentlicht. Während sich Kante mit ihren komplexen Songstrukturen und bedeutungsdichten Texten zu einer der wichtigsten bundesdeutschen Bands unserer Tage gemausert haben, sind Waldorf und Statler verschwunden. Ihr Einfluss auf Kante aber ist auf deren erster Platte Zwischen den Orten nicht zu überhören: „Heimat ist dort, wo ich begraben liege“. Diese Zeile ist in Markus Hubers Comic nachzulesen.

„Heimat“ ist hierzulande eine der lebendigsten Konstruktionen, um die deutsche Identität zu bilden und andere Identitäten, nicht selten gewalttätig, auszuschließen. Das arbeiten die Bilder der gleichnamigen Geschichte heraus, ohne pädagogisch zu werden. Hier ist der politische Kontext, in dem sich Leute von Waldorf und Statler, Kante und eben Markus Huber in den neunziger Jahren so produktiv getroffen haben, unübersehbar: Für das Freie Sender Kombinat, das inzwischen auf 93,0 MHz rund um die Uhr sendet, gestaltet Huber bis heute zusammen mit dem Zeichner Dice die Programmzeitschrift, den Transmitter.

„Heimat ist dort, wo ich begraben liege“: Nicht mehr nur mit politischen Parolen überzeugen zu wollen, sondern auf Konstrukte – wie Heimat, Identität und Geschlecht – zu reflektieren, das zeichnet diesen post-autonomen Kontext aus. Markus Hubers Comic ist politisch, weil er sich nicht als identitäre Selbstvergewisserung einer Gruppe verstehen lässt, die dann immer Recht hat, sondern schon die Entstehung einer jeden, auch der linken Identität durch die verkennende Wiedererkennung befragt.

Es ist kein Zufall, dass das Thema der Wiedererkennung in Hubers Comic dringlich wird. Von Bild zu Bild müssen die Figuren von den LeserInnen als dieselben wiedererkannt werden. Wenn im Text ein Name genannt wird, muss dieser mit einer Figur im Bild assoziiert werden. Comics inszenieren diese Assoziation, ohne aber eine Identität hinter den Zeichen offenzulegen.

Hubers elliptische Technik erinnert unvermeidlich daran, dass Comics gerade die Entstehung der Identität durch Wiedererkennung, durch Bezeichnungen zwischen Bild und Schrift reflektieren können. Die Songtexte Waldorf und Statlers werden nicht illustriert, die Bilder sind keine Noten, sondern beanspruchen einen autonomen Bereich, dessen Logik sich oft erst auf den zweiten Blick, beim Wiederlesen erschließt. In jeder weiteren Lektüre des schmalen Bandes, die sich immer wieder von neuem lohnt, muss die Frage, wie Bedeutung entsteht, beantwortet werden. Niemals fällt die Antwort gleich aus.

Nichts von Bedeutung: Das könnte eine Sehnsucht bezeichnen, all die Verwechslungen hinter sich zu lassen, um zu einer wahren Bedeutung vorzudringen. Die Sehnsucht nach einer wahren Erkennung jenseits der Wiederkennung. Nichts von Bedeutung meint aber eine ganz andere Logik, eine Logik, in der die wahre Erkennung nicht möglich ist. Nichts von Bedeutung ist die Hoffnung, dass die Wiedererkennung für einen Moment nicht von Bedeutung ist, also ohne Wirkung bleibt: dass sie keine gewaltsamen Ausschlüsse nach sich zieht. Auf dieses Nichts von Bedeutung lässt sich hoffen, wenn bedacht wird, wie Bedeutungen entstehen. Solche Reflexion zeichnet Markus Hubers Comic aus: Er birgt darin auch wie wenig andere Comics eine Reflexion der Liebe.

Markus Huber, Nichts von Bedeutung, Edition Moderne, Zürich 2002, 32 Seiten, 9,80 Euro