Morgens um vier

Masturbation im Schwimmbad, weil er sich nicht traut, sie anzusprechen; Berührungsangst in der Disko, Alleinsein in der Großstadt. Und dann ein Mord, weil sich ein Tänzer durch Blicke belästigt fühlt. „Jung zu sein bedeutet eben nicht, dass immer alles super läuft“, sagt Gökmen Cigdem. So definiert der 22-Jährige das Thema des Theaterstücks Blut on the Dancefloor, und das hat einen realen Hintergrund: Die Frage „Warum schaust du mich so an?“ hatte im vergangenen Jahr auf dem Kiez eine Schießerei zur Folge gehabt. Nicht zuletzt persönliche Erfahrungen waren es, die Gökmen Cigdem, elf weitere Akteure zwischen 16 und 24 Jahren sowie Regisseur David Chotjewitz inspirierten, die Kehrseite des spaßigen Nachtlebens aufzuzeigen – aufgeführt wird Blut... passenderweise im Kiez-Tanzschuppen Phonodrome.

Das Stück lebt vom raschen Motivwechsel. Eben noch streicht das Mädchen Melody einsam auf seiner Geige, schon hüpfen schrille Partygänger zu einem Potpourri von „Barbie Girl“ bis „Highway to Hell“. Dazwischen erzählt ein Mexikaner von stinkendem Eiweiß in seinen Haaren. Vielfältig sind auch die Stilelemente: Rap, Techno, Improvisationen rund ums Handy, Gruppentänze, Sologesang und HipHop „from Africa to the United States to Neuwiedenthal“. Choreographie und Musikstücke sind fast ausschließlich Eigenproduktionen. „Morgens um vier“ singen die abgewrackten Partygänger immer wieder, Erinnerungen an Müdigkeit, Suff und Schweiß um diese Uhrzeit erwachen beim Zuschauer.

Vor zwei Jahren fand sich die heterogene Gruppe bei einem Projekt der „Jungen Volkshochschule“, und seitdem sind „wir weit mehr als nur Kollegen“, so die Schülerin Mable Preach. Regisseur Chotjewitz ist stolz: Er habe – bei fast täglicher Probenarbeit – nur „Strömungen gelenkt“, die Jugendlichen seien „sehr kreativ und motiviert“, hätten sich ihre Rollen zum Teil sogar selbst geschrieben. Deshalb sei Blut ... „ihr eigenes Stück“. So geeint die Gruppe auftritt, so unterschiedlich viel bedeutet die Schauspielerei den Einzelnen; einige haben inzwischen sogar den Weg einer professionellen Ausbildung eingeschlagen. Nach dem Applaus liegen sich alle in den Armen. Kontrovers diskutieren sie erst, wenn es um das WM-Viertelfinale Senegal gegen die Türkei geht. Helene Bubrowski

letzte Vorstellungen: 24. + 27.6., 20 Uhr, Phonodrome; Wiederaufnahme sowie eine Verfilmung sind geplant