Blair vertagt sein Schnüffelgesetz

Britische Regierung zieht nach massiven Protesten eine Vorlage für ein Überwachungsgesetz zurück, das staatlichen Stellen nach Gutdünken Zugriff zu allen Daten von Telefonfirmen und Internetbetreibern über die Aktivitäten ihrer Kunden geben sollte

von RALF SOTSCHECK

Nun wird es vorerst nichts mit der Schnüffelei. Großbritanniens Innenminister David Blunkett musste am Dienstag im Unterhaus einen überraschenden Rückzieher in Sachen Überwachung machen. Er hatte geplant, eine breite Palette von Behörden und halbstaatlichen Organisationen zu bevollmächtigen, von Telefongesellschaften, Postdiensten und Internetbetreibern ohne Gerichtsbeschluss private Daten einzuholen. Eine zweite Gesetzesvorlage, die Blunkett ebenfalls zurückzog, sollte die Beschattung von Personen und den Einsatz von Informanten regeln. Die Erlaubnis sollte für sieben Ministerien, sämtliche Kommunalverwaltungen, die Gesundheitsämter in Schottland und Nordirland sowie elf halbstaatlichen Organisationen gelten. Bisher ist diese Art der Überwachung nur den Geheimdiensten, der Polizei, dem Zoll und der Steuerfahndung gestattet.

Bürgerrechtsorganisationen und viele Oberhaus-Lords liefen Sturm gegen das geplante Gesetz, und auch einige Labour-Hinterbänkler hatten angekündigt, dass sie mit den Oppositionsparteien gegen den Entwurf stimmen würden. So vertagte Blunkett die Debatte vorsichtshalber auf den Herbst. Er sagte, er habe sich in seiner Entscheidung von seinem 24-jährigen Sohn Hugh, einem Computerfachmann, beeinflussen lassen. Es war aber vor allem der breite Widerstand gegen die „immense Erweiterung der Regierungsschnüffelei“, wie Ian Brown, Direktor der „Foundation for Information Policy Research“, es nannte, der Blunkett zum Rückzug veranlsste. „Wenn man im Loch sitzt, sollte man aufhören zu graben“, sagte er. „Der beste Weg erscheint mir, eine intensive Debatte über die angesprochenen Fragen zu führen.“ Er lasse sich lieber wegen des peinlichen Rückziehers beschimpfen, als sich Ärger mit der Öffentlichkeit einzuhandeln, fügte er hinzu.

Blunkett behauptet, sein geplantes Gesetz diene der Terrorismusbekämpfung. Laut Vorlage darf aber auch bei Fragen der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Gesundheit, der Steuereintreibung und der Verbrechensbekämpfung geschnüffelt werden. Außerdem kann der Minister das Gesetz nach Herzenslust auf andere Bereiche ausweiten, etwa die Verhinderung illegaler Einwanderung.

Blunkett sagte nun, die Regierung sei in die Sache „hineingestolpert“, seine Vorlage sei „in eine vollkommen falsche Richtung interpretiert“ worden. Viel Raum für Interpretation gab es jedoch gar nicht. Die Gesetzesvorlage ist recht eindeutig: Mobiltelefonbetreiber sollten die Anrufe sowie den Aufenthaltsort des Benutzers für fünf Jahre speichern; Internetfirmen sollten Passwörter, die besuchten Internetseiten, Kreditkartennummern bei Transaktionen und alle E-Mails samt Sendedatum registrieren und den Beamten auf Verlangen zugänglich machen. Ursprünglich wollte die britische Regierung darauf drängen, dass auch die anderen Mitgliedsländer der EU solche Gesetze verabschieden, damit eine EU-weite Überwachung möglich ist.

Premierminister Tony Blair hatte darauf hingewiesen, dass bestimmte Kontrollmechanismen vorgesehen seien. Die sind jedoch nicht anwendbar. Es stellte sich heraus, dass die Kontrollinstanz unter Sir Andrew Legatt die Aktivitäten von 1.039 Behörden überwachen müsste. Dafür hätte er 22 Mitarbeiter.

Richard Allan, innenpolitischer Sprecher der Liberalen, sieht darin den Hauptgrund für Blunketts Entscheidung. „Diese Regierung hat nicht die Absicht, Bürgerrechte aus Prinzip zu verteidigen“, sagte er. „Was die Wende der Regierung ausgelöst hat, ist die Tatsache, dass ihre Vorschläge gar nicht umzusetzen sind.“