Trauer, Wut und mitreißende Musik

Vor 27 Jahren sang Maria Farantouri die Uraufführung des „Canto General“ von Mikis Theodorakis. Jetzt bewies sie in St. Stephani: Das politisch inspirierte Werk hat nichts von seiner Gültigkeit verloren

„Du wirst meine Priesterin“, soll der griechische Komponist Mikis Theodorakis der damals erst sechzehnjährigen Sängerin Maria Farantouri gesagt haben. Er sollte Recht behalten, die politisch engagierte Musikerin sang in der Hauptsache Musik des heute legendären Theodorakis, dessen Musik 1967 von der griechischen Militärjunta verboten wurde.

Er wurde so etwas wie eine Symbolfigur für den „Aufrechten Gang“. Dass nun der junge Kirchenmusiker Tim Günther in einem Konzert an St. Stephani die 1947 geborene Sängerin, die von 1990 bis 1993 Parlamentsmitglied in der Regierung Papandreou war und der 1998 ein beispielhaftes Comeback gelang, einlud, war mehr als eine werbewirksame Geschicklichkeit. Das geheimnisvoll timbrierte Charisma ihrer Stimme ist ungebrochen.

Maria Farantouri wurde nicht nur von der „68er Generation“ gefeiert. Die Anwesenheit von so vielen jungen Leuten bei den beiden ausverkauften Konzerten in St. Stephani deutet daraufhin, dass nicht nur Maria Farantouri der nächsten Generation ein Begriff ist, sondern auch, dass das Werk Theodorakis‘ zeitlos bestehen kann, denkt man einmal die politische Patina der damaligen Zeit weg.

Der Text des gut zweistündigen „Canto General“ für Soli, Chor und Orchester besteht aus Dichtungen und Liedern von Pablo Neruda, der die Ausbeutung und die Diktaturen seines südamerikanischen Kontinents in immer neuen Naturbildern beklagt. Mit Trauer und Wut scheint beides geschrieben, der Text und die mitreißende Musik, und diese Wut gilt heute mehr denn je.

Tim Günther motivierte den großen Chor zu einer Dauerpower, die manchmal sogar etwas zuviel des Guten war. Das originelle kleine Orchester (zwei Mandolinen, drei Flöten, drei Gitarren, zwei Klaviere, ein Kontrabass und fünf Schlagzeuger) zauberte ein facettenreiches Klangbild zwischen E-Musik, folkloristischer Musik und agitatorischer Politmusik: Der Verschnitt daraus ist Theodorakis‘ ureigener, enorm wirksamer Stil. Interessant, dass er einmal Komposition bei Olivier Messiaen studiert hat und in einer Hanns Eisler vergleichbaren Entscheidung seine künstlerische Kompetenz dem Volk zur Verfügung stellen wollte.

Die jetzige Aufführung war, siebenundzwanzig Jahre nach der Uraufführung (die natürlich auch Farantouri gesungen hat), eine Art Test, den das Werk ohne Einschränkungen bestand: Es wird im Repertoire bestehen bleiben, mindestens so lange, wie die „Diktatur der Schmeißfliegen“ in aller Welt ihr Unwesen treibt.

Kaum hinter Maria Farantouri zurückstehen musste der zweite Solist des Abends, der Bariton Can Tufan, Mitglied des Bremer Opernchores, aber längst bestens ausgewiesen in Komposition und Interpretation politischer Musik. Sein „Schmeißfliegengesang“ ging unter die Haut. Halbstündige stehende Ovationen mit vier Zugaben: Das ist in einem eigentlich „einfachen Kirchenkonzert“ sonst kaum zu erleben.

Ute Schalz-Laurenze