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„Selbsthilfe“ – ein Ex-Vorstand der Nord-Bremer Tafel e.V. nahm das zu wörtlich. Jetzt wurde er wegen Untreue verurteilt. Dem Richter graust vor weiteren Verfahren

Ein Verein ist keine Bank. Dieser Erkenntnis musste sich am Freitag auch ein ehemaliger Vorstand der Nord-Bremer Tafel e.V. stellen. Um seine privaten Mietschulden zu zahlen und damit die Kündigung seiner Wohnung abzuwenden, hatte sich Ulrich G., 49 Jahre alter Frührentner und gelernter Kaufmann, im Mai 1999 1.000 Mark geliehen – aus der Vereinskasse der Nord-Bremer Tafel, deren Vorstand er damals war. „Untreue“ urteilte jetzt das Blumenthaler Amtsgericht und sprach eine Verwarnung aus: Lässt sich G. in den nächsten zwei Jahren noch etwas zu Schulden kommen, wird eine Buße in Höhe von 60 Tagessätzen fällig.

Darlehen an Vorstandsmitglieder gehörten eigentlich nicht zu den satzungsmäßigen Aufgaben des gemeinnützigen und inzwischen in Konkurs gegangenen Vereins, der übrig gebliebene Lebensmittel bei Supermärkten und Bäckereien abholte und kostenlos an Bedürftige verteilte. Dennoch hatten weder der geldbedürftige Vorstand selbst, noch die Kassenwartin, noch die anderen vier damals befragten Mitglieder ein Problem mit dem Privat-Darlehen. „Ich wollte einem Menschen helfen, der in Not war“, erklärt Ex-Kassenwartin Bernhild B. vor Gericht, und ein Zeuge bestätigt, dass man den Vorstand, der eine zentrale Rolle in dem Verein innehatte, damals auf unbürokratische Weise habe unterstützen wollen.

„Hätten sie denn jedem, der kommt und sagt «Ich brauche Geld» ein Darlehen aus der Vereinskasse gewährt?“, fragt Richter Peter-Michael Pawlik erstaunt. „Auf jeden Fall“, sagt Ex-Vorstand G. Er habe nicht gewusst, dass das Darlehen verboten sei. Die Satzung seines Vereins habe er nicht gelesen.

Weil er kurz zuvor von zwei Banken über 12.000 Mark an Spenden eingeworben habe, sei trotz des Darlehens auch noch genügend Geld für die monatlichen Unkosten des Vereins in der Kasse gewesen. Unvorhergesehene Finanzlöcher hätten die Sponsoren zudem sicher gedeckt, ist G. heute noch überzeugt: „Ich habe der Tafel nie geschadet.“

Ex-Kassenwartin B., selbst angeklagt, widerspricht: „Sie haben das Geld nie zurückgezahlt.“ Dieser Meinung schließt sich auch ein Zeuge an. G. protestiert: Nachdem ihn B. im Dezember 1999 – da war er als Vorstand bereits zurückgetreten – schriftlich aufgefordert habe, das Geld zurückzuzahlen, sei er dem „sofort nachgekommen“. Mit Mühe nur gelingt es Richter Pawlik, die hervorbrechenden Streitigkeiten zwischen den ehemaligen Vereinsmitgliedern zurückzuhalten, deren wütende Schriftwechsel allein in diesem Verfahren bereits einen dicken Aktenordner füllen. Unzähligen Vorwürfen in Zusammenhang mit dem bankrotten Selbsthilfe-Verein ist die Staatsanwaltschaft bereits nachgegangen, die Verfahren wurden bis auf dieses und ein weiteres wegen Bedrohung jedoch alle eingestellt. Den Streit darüber, ob G. die 1.000 Mark zurückgezahlt habe, beendet schließlich der Verteidiger, als er zwei Kopien aus dem Kassenbuch der „Tafel“ vorzeigt, die Richter und Staatsanwalt als Einzahlungsbelege akzeptieren.

Pawlik wertet G.s Verhalten als „an der untersten Grenze des Verschuldens“. Während er das Verfahren gegen die ehemalige Kassenwartin B. aber ohne Auflagen einstellt, lehnt er bei G. einen Freispruch, wie ihn der Verteidiger forderte, ab. G. habe vorsätzlich und zudem zu seinen eigenen Gunsten gehandelt und hätte die Unrechtmäßigkeit erkennen müssen.

Entgegenkommen deutete der Richter nur bei einem zweiten, noch nicht eröffneten Verfahren gegen G. an: Wenn G. die Verwarnung akzeptiere, werde das andere Verfahren eingestellt. An weiteren „Nord-Bremer-Tafel-Prozessen“ hat Pawlik nämlich durchaus kein Interesse. „Dann muss ich hier deren ganze interne Streitigkeiten verhandeln“, sagt er und schüttelt sich.

Armin Simon