fernöstlicher diwan
: Überzeugt antideutsch, das kann kompliziert werden

Raus, Hauptsache raus!

Tschüss Deutschland! Ich hoffe, dass du heute rausfliegst gegen Paraguay. Wäre höchste Zeit. Mir völlig wurscht, ob verdient oder unglücklich. Hauptsache raus.

Ich bin gegen Deutschland. Immer schon. So was gibt’s. Und es treibt die, mit denen ich WM gucke, zum Wahnsinn. Sie finden, das geht nicht, gegen sein eigenes Land zu sein. Immer gegen die Bayern – okay. Das sind fast alle. Aber gegen uns? Dabei ist es ja erst einmal genauso rational, gegen die Deutschen zu sein, wie seit jeher und immer für eine Mannschaft zu sein, in der Figuren wie Höttges, Vogts, Jakobs, Dietz, Eilts und Jeremies kicken durften und dürfen. Das muss hier mal klargestellt werden. Leidenschaften beim Fußball haben schließlich nichts mit Vernunft zu tun. Sie müssen vor allem echt sein. Und da liegt der Hund begraben.

OLIVER T. DOMZALSKIS WMMein Team: Italien – Staatenlosigkeit ist ja kein Zustand; und der WM-Titel 1982, in Apulien erlebt, war meine zweite Geburt als Fan. Mein Spieler: Jens Nowotny – sein Fehlen schwächt die Deutschen am meisten.Mein Weltmeister: Schweden – wer die Todesgruppe gewinnt … Und bei dieser WM kommt ja sowieso alles anders

Die Empörten glauben nicht, dass meine Abneigung gegen Deutschland echt ist. Sie halten sie für aufgesetzt. Wäre dem so – ich müsste ihnen recht geben: Dann gehörte ich rausgeworfen aus dem linksbürgerlichen Deutschland-Deutschland-Wohnzimmer und der rudibesoffenen Szenekneipe. Ich wäre einer dieser Kopfmenschen, die den Fußballpatriotismus zwar mit der Muttermilch aufgesogen haben, weil sie schon als Knirpse mit Papa auf der Couch „Deutschland vor!“ geschrien haben, die aber jetzt krampfhaft versuchen, diese frühkindliche Imprägnierung wieder abzuwaschen. Sie unterdrücken den quasi genetisch angelegten Jubelimpuls bei deutschen Toren und schreien stattdessen halblaut und ohne Überzeugung „Nie wieder Deutschland!“, weil sie sonst Ärger mit ihrer autonomen Dritte-Welt-Gruppe bekämen.

Das sind keine echte Fans, weil sie sich nicht entscheiden können zwischen politisch korrektem Bewusstsein und dem zwangsläufig irrationalen Ruf des Fußballherzens. Und deshalb glaubt man diesen Multikultitheoretikern ihre Anti-Deutschland-Haltung nicht – und sie selber glauben sich ja auch nicht: Sie kippen regelmäßig spätestens in der Verlängerung des Viertelfinales wieder um und lassen dann besonders bierselig die Deutschland-Sau raus. Ich werde mit solchen Leuten immer in einen Topf geworfen, und das ist ungerecht.

Jeder hat irgendwann seine erste Begegnung mit dem Fußball und wird Fan. Für welchen Verein, das entspringt weitgehend dem biographischen Zufall. Mit Nationalmannschaften ist es genauso. Irgendeine WM ist die erste – und das Land, dessen Elf man dann in kindlicher Unbedingtheit zum Lieblingsteam kürt, behält diesen Status bis ans Lebensende. Bei den meisten ist es Deutschland – weil sie eben ihre erste WM neben Papa auf dem Sofa verbracht haben. Aber wenn man keinen fußballverrückten Papa hatte? Sondern stattdessen fußballhassende Waldorflehrer? Meine erste Gefühlsprägung, was Fußball & Deutschland angeht, geschah mit zarten 13 Jahren, zur WM 1974. Und weil ich einem bildungsbürgerlich-sozialdemokratischen, mit der Entspannungspolitik sympathisierenden Toscana-Fraktions-Elternhaus entstamme, bestand diese erste Prägung tatsächlich in der weltläufigen und vielfach auch naserümpfenden Distanz der Linken zum eigenen Land und im Kopfschütteln über Springers dumpfen, gegen Willy Brandt gerichteten „Warum wir heute gewinnen werden“-Nationalismus. „Wir“ gegen „die Zone“ – da musste man doch damals auf Seiten der Zone stehen!

Seit da bin ich unbedingt immer gegen Deutschland – und zwar auf dem Fußballplatz viel unbedingter als außerhalb. Während ich mich mittlerweile immer häufiger dabei ertappe, Deutschland im Ausland gegen dumme Klischees und Vorurteile in Schutz zu nehmen – schon weil ich mit zunehmendem Behagen merke, wie sehr ich selbst Deutscher und Preuße bin –, zucken meine Arme bei jedem Tor gegen Deutschland automatisch zum Jubel nach oben. Kann man nix gegen machen. Ist eben die erste Prägung. OLIVER THOMAS DOMZALSKI