bascha mika über Gegengift
: Irgendwie-ja-aber-doch-nicht-vielleicht

Junge oder Mädchen? Beatles oder Stones? Lee oder Wrangler? Das Leben verkommt zum permanenten Coming-out

Ich kann mich nicht entscheiden.

Wofür?, fragt mein Lieblingsreaktionär besorgt, oder wogegen?

Ist doch egal.

Bei Entscheidungen ist es eben nicht egal.

Sag ich doch.

Was denn nun?

Egal ist, um welche Entscheidung es geht. Ich fixier die irische Butter, tändle mit der Süßrahm vom Fass, verspreche der gesalzenen Dänischen ein neues Zuhause – irgendwann jagt man mich als letzte Kundin aus dem Laden. Ohne Butter.

Wie wär’s mit Margarine? Ich kenne da eine Sonnenblumen-Bio-Halbfett …

Und was ist mit Wontorra, Walser, Westerwelle?

Die essen Butter?

Um Bedrängnis geht es! Mein chronisches Irgendwie-ja-aber-doch-nicht-vielleicht. Ständig wirst du durch die öffentliche Debatte aufgefordert, dich zu bekennen: Bist du für dies oder gegen das? Freund oder Feind? Saft oder Suppe? Das überfordert mich.

Wontorra als Saft oder Suppe? Igitt.

Wonti ist mir doch vollkommen wurscht. Wenn Sat.1 seinen Starkommentator kurzfristig und skandalträchtig von der WM abzieht – geschenkt. Aber so funktioniert das Spiel nicht. Es darf mir nicht wurscht sein, ich muss mich positionieren, egal ob wichtig oder Müller-Milch. Du kannst an keinem Kneipentisch mehr sitzen, ohne – liberal ist im liberalen Sinne liberal – für die FDP in den Schützengraben zu springen oder in einen anderen. Selbstverständlich wird von dir ein klares Urteil zu Martin Walsers neuestem Buch erwartet, das du zwar nicht gelesen hast, aber zum Antisemitismusvorwurf kannst du dich doch gefälligst verhalten! Und je komplizierter die Dinge sind, desto hämischer wird zugespitzt, enggeführt, bis nur noch Daumen rauf oder runter bleibt. Miese Instrumentalisierung der Öffentlichkeit, Wahlmöglichkeit genannt.

Sic vel non.

Ja, eh … nein. Ich fühle mich bedrängt, bedroht, das ist Terror. Alle wissen immer sofort, wo sie stehen, und wenn sie mich dann suchen, auf ihrer oder wenigstens der gegnerischen Seite, finden sie mich nicht. Ich und mein „Ja, aber“ stehen immer irgendwo anders herum. Das kommt gar nicht gut. Ich verstehe immer vieles, das heißt eigentlich nichts und schauder vor allem, was so gewiss daherkommt.

Das hast du mit den großen Zweiflern der Weltgeschichte gemein, spottet mein Lieblingsreaktionär, Petrus, Hamlet, Harry Potter …

Klar, Othello war eindeutig entscheidungsfreudiger.

Galoppierende Entscheidungsschwäche nennt man dein Gebrechen, sagt mein Lieblingsreaktionär ungerührt. Hast du das schon lange?

Schon immer. Das fing damit an, dass ich nicht wusste, ob ich Junge oder Mädchen werden wollte. Später dann – Beatles oder Rolling Stones, Lee oder Wrangler –, das hab ich gerade noch hingekriegt. Früher war nicht alles besser, aber vieles einfacher. Inzwischen hat sich die Situation dramatisch verschärft.

Der Post-Millennium-Zeitgenosse hat’s doch superbequem. Da kannst du dir deine Haltung aus beliebigen Versatzstücken flicken: ein bisschen bessere Welt, ein guter Schuss Ichbezogenheit, hübsch getarnt als Ichstärke, der richtige Prosecco als Lebensstil … Da kommst du prima ohne jede Positionierung durch.

Wohl das letzte Dreivierteljahr verpennt? In der Post-Bin-Laden-Ära sind Bekenntnisse angesagt. Seitdem überschlagen sich die Ereignisse, die dich zum permanenten Coming-out zwingen. Wie hältst du’s mit den Amerikanern und dem Krieg gegen den Terror? Ist Sabine Christiansen zuzumuten, dass die Ehebrecherin Ulla Kock am Brink weiter im Fernsehen moderiert? Wer frühstückt wen ab – Merkel oder Stoiber? Übernehmen die Bolschewiken Berlin, wenn Rot-Rot die Hauptstadt regiert? Ich höre mir die Argumente an und nicke, dann die Gegenargumente und nicke, am Schluss bin ich verwirrt. Je näher ich ein Problem anstarre, desto ferner starrt die Entscheidung zurück. Vom dräuenden 22. September, dem GAU für jemanden wie mich, noch gar nicht zu reden.

Ich hab’s. Die Lösung: Positionier dich doch einfach in der Mitte. Angeblich gibt’s da noch ein paar andere.

Bist du wahnsinnig! In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod. Mittelmaß hass ich sowieso. Wie soll ich mich da entscheiden, schon gar für die Mitte?

Fragen zu Gegengift? kolumne@taz.de