Zwischen Kitsch und Wüstnei?

Städte im Wandel: Ein Symposium in Delmenhorst zu „Disneyfizierung“ und Transformation

In der Städtischen Galerie Delmenhorst läuft zur Zeit die Ausstellung „Die Stadt“. Sie fragt nach „Stadtbilder(n) in Zeiten der Transformationsprozesse“ (siehe taz vom 10. Mai). Das mag etwas missverständlich klingen: Sind Transformationsprozesse nicht das Kennzeichen des Städtischen seit jeher – und seit der Industrialisierung ganz besonders? Gemeint ist hier wohl in erster Linie das, was man heute „Globalisierung“ nennt.

Nun sollte der theoretische Diskurs hinter dem Ausstellungsthema in einem Symposium erhellt werden. Geladen waren der Berliner Stadtforscher und -planer Dieter Hoffmann-Axthelm, der Hamburger Architekturhistoriker Hartmut Frank und der Stadtforscher Frank Roost aus Berlin. Sie sollten an den Beispielen Berlin, Paris und New York den Wandel westlicher Metropolen erläutern.

Hoffmann-Axthelm wehrte sich sogleich gegen die verbreitete Vorstellung, mit der Globalisierung würden sich die Städte immer weiter nivellieren und zu verwechselbaren Gebilden aus verkitschten Altstädten und endlosen Stadtrandwüsteneien verkommen. Stattdessen demonstrierte er am Beispiel Berlins, welche nach wie vor entscheidende Rolle die historisch herausgebildete Eigenart einer Stadt einnimmt.

Der notwendige Wandel, der sich stärker in Tiefen- statt in Oberflächenprozessen abspielen solle, müsse, so der Stadtplaner, „geerdet“ sein in der Kontinuität einer starken Stadtbürgerschaft. Dass Berlin eine solche starke Stadtbürgerschaft durch den historisch bedingten Verlust seiner Eliten nicht mehr besitze, war eine zentrale These Hoffmann-Axthelms. Daraus resultiere die Unfähigkeit dieser Stadt, mit ihren spezifischen Problemen – etwa der Hauptstadtwerdung oder der „Mauer in den Köpfen“ – konstruktiv umzugehen. Die Rolle von Eliten könne man durchaus ambivalent sehen, war ein Einwand aus dem Publikum, der Beifall fand.

Auch Hartmut Frank verwies am Beispiel Paris auf ein Moment der Kontinuität. In Frankreichs Hauptstadt liege sie in der Neigung, mit großen Projekten herausragender Architektur Ordnung stiftend in den Stadtkörper einzugreifen. Dieser Hang zur Implantation von Monumenten reicht vom Louvre über die barocken Platzfiguren und Haussmans Boulevard-Achsen bis zum Centre Pompidou und zum Verwaltungshochhaus-Stadtteil La Défense. Dabei gehe es, so Frank, vor allem darum, Paris zu einem zweiten Rom, zur Hauptstadt schlechthin zu formen.

Dass dieses Mittel in jüngerer Zeit weniger greift, war seinem historischen Abriss zu entnehmen. Jedoch wurde der aktuelle Wandel, der ja das Thema von Ausstellung und Symposium war, nur beiläufig berührt. Er zeigt sich etwa in dem Run auf das Pariser Zentrum, das zum bevorzugten Wohnort für eine nationale und internationale Oberschicht wird. Und der in vielen Quartieren zur Vertreibung des Alteingesessenen führt: „Gentrification“.

Engagierter war da schon Frank Roosts Analyse der „Disneyfizierung“ der Städte. Soll heißen: die Inszenierung städtischer Vielfalt durch große Konzerne. Die Wandlung des New Yorker Times Square vom Rotlichtdistrikt in eine familienkompatible Heile-Welt-Szenerie ist ein imposantes Beispiel für diesen Trend. Sein logisches Pendant ist die gleichzeitig vollstreckte Null-Toleranz-Politik gegenüber gesellschaftlichen Außenseitern. Diese Politik hat New York inzwischen zum Vorbild für viele europäische Kommunen gemacht.

Roost wies allerdings darauf hin, dass das Phänomen Disneyfizierung nicht unbedingt für New York spezifisch sei. Das Neue des Prinzips liege in der systematischen kommerziellen Erschließung von Wohn- und Stadtsehnsüchten der Masse. Was in den Einfamilienhauszonen der Stadtränder üblich ist – der hemmungslose Individualismus des Ausdrucks –, werde in den städtebaulichen Modellen des Disney-Konzerns, wie man sie vor allem in Florida studieren kann, in eine scheinbare Ordnung gefasst. Diese beruht auf dem Prinzip der Vielfalt in der Einheit und simuliert damit – das macht ihren Erfolg aus – historische Stadtstrukturen. Aber hier entsteht die Stadt nur als Bild, nicht als politisches Gebilde.

Eberhard Syring

Die Ausstellung „Stadtbilder“ läuft noch bis zum 28. Juli in der Städtischen Galerie Delmenhorst