Im Kreidestaub verheddert

■ „Hund“ von Dea Loher im Thalia in der Gaußstraße

Eine melancholische Liebesgeschichte zwischen einer alten, blinden Hure und einem hinkenden Dieb, beide einsam. Sie haben die besten Tage hinter sich, so es sie einmal gegeben hat: Diese Geschichte kann nur am Montpanasse glaubwürdig erscheinen. Dort hat die Nachwuchsregisseurin Dea Loher den vierten Teil ihrer Reihe „Magazin des Glücks“ im Thalia in der Gaußstraße auch angesiedelt. Hund heißt diese vergleichsweise lange Episode und ist eine kleine Hommage an Giacometti.

Regisseur Andreas Kriegenburg erzählt das Zusammentreffen der beiden Gestrandeten auf zwei Ebenen: Film und Bühne. Ein Glücksfall in Bezug auf Verschränkung und Verschiebung von Perspektiven und vor allem zeitlichen Abschnitten. Im Film treffen Verena Reichhardt als alte Hure und Chris-toph Bantzer als hinkender Dieb in der Rue d'Alesia (in Altona) pünktlich zu high noon aufeinander. Während sie sich damit abfinden muss, dass der Mann nicht der seit zwei Monaten erwartete Alberto ist, kritzelt er an eine Hauswand, dass er ihr wehtun will. Sie gehen zu ihr. Erst jetzt, auf der Theaterebene, kommt die helle Kleidung der beiden richtig zur Geltung: Ganz weiß ist auch die Bühne und die Handvoll Möbel, die eben zu einem Prostituiertenzimmer gehören. Doch kein Blütenweiß findet sich hier, sämtliche Schattierungen zeugen von Verfall. Der kreidige Staub liegt, gemischt mit Dreck von Jahrzehnten, in dicken Schichten auf allem, selbst auf den Spuren, die der hinkende Gast hinterlässt. In diesem weißen Mikrokosmos verfängt sich der Dieb, der es eigentlich auf zwei von Giacomettis Skulpturen abgesehen hat. Vielleicht ist es aber auch der Anblick der Kreide, der ihn schülergleich gefügig macht.

Für Verena Reichhardt ist die Rolle der abgetakelten und dabei würdevollen Hure eine Paraderolle. Die angestaute Bitterkeit über ihr Alter, die Trauer über die Nachricht vom Tod Giacomettis, ihr Gleichnis mit dem traurigen, streunenden Hund des Künstlers: alles zum Anfassen nah.

Dea Lohers Sprache zwischen poetischer Exaktheit und griffiger Selbstironie scheint Reichhardt wie auf den Leib geschneidert. Bantzer kommt in dem weißgrundigen Geschehen eher die Rolle des Mimen und Zuhörers zu – eine durchaus schlüssige Aufteilung. Am Ende tut er ihr auch nicht weh, sondern erfüllt ihr vielmehr einen lang gehegten letzten Wunsch, bevor sie – früher oder später – endgültig zu Staub wird.

Liv Heidbüchel

weitere Vorstellungen: heute und am 18. April, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße 190