An die Rollis denkt keiner

Bremen hat zu viele Barrieren für Behinderte: Bordsteine, Gullirinnen, Kopfsteinpflaster und abschüssige Straßen. Besonders im Viertel ist für viele Rollstuhlfahrer kaum ein Durchkommen

„Behinderte Menschen sind im öffentlichen Leben oft nicht eingeplant“ „Mit der rechten Hand muss ich keulen und mit der linken Hand gegenlenken“

Ein Stadtrundgang durchs Bremer Viertel: Holpriges Kopfsteinpflaster, schmale Bürgersteige, abschüssige Straßen und unübersichtliche Kreuzungen . Was den meisten Menschen gar nicht auffällt, ist für Rollstuhlfahrer oder sehbehinderte Menschen ein großes Problem.

„Betroffen sind immer nur die Anderen“, beschreibt Silke Schwarz, seit einem Unfall querschnittsgelähmt, die Reaktion vieler Menschen auf die Situation Behinderter.

Die studierte Landschaftsplanerin meint damit auch sich selbst. Als sie nach ihrem Unfall ihre eigenen Stadtplanungsprojekte betrachtete, fiel ihr auf, dass auch sie Behinderte im öffentlichen Leben gar nicht mitgeplant hatte. „Barrierefreiheit für Behinderte war in meinem Studium völlig unterrepräsentiert“, sagt die 32-Jährige.

Viele Betroffene hoffen jetzt auf das neue Gleichstellungsgesetz, das ab dem 1. Mai in Kraft ist. Kernstück des Gesetzes ist die „Barrierefreiheit“, die den Behinderten ermöglichen soll, gleichberechtigt und grundsätzlich ohne fremde Hilfe Parks, Busse oder Telefonzellen benutzen zu können.

„Das bedeutet, dass behinderte Menschen nicht mehr Objekt der Fürsorge sind, sondern die Möglichkeit bekommen, selbstbestimmt leben zu können“, sagte Karl Hermann Haak, Behindertenbeauftragter der Bundesregierung, am Montag in Bremen bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema „Barrierefreiheit“. Was jetzt noch fehlt, ist ein Gleichstellungsgesetz für die einzelnen Bundesländer. Und das dürfte noch dauern – denn: „Dabei muss es Einheitlichkeit geben, damit nicht in den 16 Bauverordnungen der Bundesländer unterschiedliche Definitionen für Barrierefreiheit stehen“, forderte Haak.

Welche Barrieren sich Behinderten bei einem ganz normalen Spaziergang durch Bremen in den Weg stellen, zeigte die Rollstuhlfahrerin Silke Schwarz gestern den Teilnehmern eines Stadtrundgangs durch Ostertorviertel. Und fast an jeder Ecke gibt es Negativbeispiele. Erster unfreiwiller Stopp: Ein schmaler Bürgersteig, der stark zu einer Seite abfällt.

„Da muss ich mit der rechten Hand enorm keulen und mit der linken Hand gegenlenken, um mich überhaupt auf dem Bürgersteig halten zu können. Aber sagen sie das mal dem Straßenbauamt“, erklärt Silke Schwarz. Und dabei ist sie, wie sie sich selbst nennt, eine „sportliche Rollstuhlfahrerin“. Jemand, der oberhalb des Lendenwirbels gelähmt ist, hätte hier keine Chance, allein weiterzukommen.

Auch das Ausweichen auf die Straße hilft nur wenig. Das Kopfsteinpflaster ist so uneben, dass die Rollstuhlfahrerin immer wieder harte Schläge einstecken muss: „Wer empfindlich ist, könnte hier nicht fahren“. An der nächsten Ecke bleibt ihr Rollstuhl in einer Gullirinne stecken. Danach versperren Stapel von Altpapier den Durchgang. Dann der kritische Blick hinauf zu den schönen Altbremer Häusern. Die sind nach Meinung der Expertin vollkommen behindertenfeindlich: Hochparterre, schmale Treppen, zu kurze Geländer.

Auf die Frage, ob man nicht am besten alles zubetonieren sollte, antwortet Silke Schwarz: „Es gibt tatsächlich Behinderte, die das fordern, aber es sollte auch einen anderen Weg geben“. Wichtig sei, dass die Planung barrierefreier Städte schon von Anfang an von Experten begleitet würde. „Sonst ist alles fertig und muss für viel Geld wieder umgebaut werden“. Silke Schwarz hofft, dass mit dem neuen Gesetz endlich Politiker, Planer und Behinderte zusammenarbeiten: „Damit die Barrieren auch in den Köpfen fallen können“. Katja Plümäkers