Ein Hochstapler auf Reisen

Gegen das Vergessen der Franco-Ära? Die jüngste Generation spanischer Schriftsteller verbindet wenig, außer der Suche nach einer Erinnerung. Ray Loriga, Juan Manuel de Prada und Marcos Giralt Torrente lesen heute in der Akademie der Künste

von ANNE KRAUME

In der spanischen Literatur wird immer wieder von Schriftstellergenerationen gesprochen. Die „Generación del 98“ um Miguel de Unamuno und Azorín etwa fand sich zusammen, als im Kubakrieg 1898 auch noch die letzte der spanischen Kolonien verloren gegeben werden musste. Die zweite Gruppe, die „Generación del 27“, wurde anlässlich der Feiern zum dreihundertsten Todestag des Dichters Góngora im Jahr 1927 von Dichtern wie Federico García Lorca und Rafael Alberti ausgerufen. Beide Generationen sahen sich als homogene Gruppen und trafen sich in ihren Vorstellungen über Stil, Sprache und Anliegen der Literatur.

Die jüngste spanische Schriftstellergeneration bezeichnet eigentlich niemand mehr als solche. Juan Manuel de Prada, Ray Loriga und Marcos Giralt Torrente sind zwar Kinder einer Generation – nämlich der, die von der Zeit unter Franco bewusst nichts mehr mitbekommen hat, dafür aber umso mehr von der Übergangszeit nach dessen Tod. Trotzdem haben sie auf den ersten Blick außer ihrem Geburtsdatum Ende der Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre nicht viel gemein. Da ist auf der einen Seite Juan Manuel de Prada, der auch außerhalb Spaniens zu einiger Berühmtheit gelangt ist, seit er 1997 für seinen Roman „Trügerisches Licht der Nacht“ den angesehenen Premio Planeta bekommen hat; de Prada schreibt regelmäßig für die Zeitung ABC und gilt nicht zuletzt deshalb als arriviert in einem Land, in dem Journalismus und Literaturszene seit je eng verknüpft sind. Dann ist da Ray Loriga, der sich einige Zeit als moderne Verkörperung des „poète maudit“ gefallen hat und der außerdem einigen Erfolg als Drehbuchautor für Pedro Almodóvar und als Regisseur eines ersten Films verbuchen kann. Und schließlich bleibt noch Marcos Giralt Torrente, der nach einem Band mit Erzählungen einen ersten Roman vorgelegt hat. Das ist allerdings auch schon alles, was bisher über ihn nach Deutschland gedrungen ist.

Trotz aller Unterschiede: Es gibt Gemeinsamkeiten in ihrem Werk, die es rechtfertigen, sie auf einen Generationsbegriff zu bringen, auch wenn diese Gemeinsamkeiten oft versteckt sind. So erzählen alle drei in ihren neuen Büchern von der Suche nach etwas: Ray Loriga schickt seinen traumwandlerischen Hochstapler Trífero auf die Reise, um ihn Ruhe und Frieden finden zu lassen. Giralt Torrente lässt den Protagonisten von „In deinen Augen“ in seine Kindheit abtauchen: Der namenlose Ich-Erzähler versucht zu begreifen, was ihn geprägt hat, und zu erzählen, was unerzählbar scheint. Und de Prada geht schließlich so weit, seinen ganzen Roman nicht als Roman, sondern als Suche zu bezeichnen: „Auf der Suche nach Ana María Martínez Sagi“, so der Untertitel von „In den Winkeln der Lüfte“.

Sie alle sind auf der Suche, und oft ist es die Erinnerung, die sie finden. Wenn man schließlich diese Erinnerung so aufwändig inszeniert, wie de Prada das bei seiner Suche nach der vergessenen Dichterin aus den frühen Dreißigerjahren tut, dann scheint klar, dass sich die bewusste Geste des Erinnerns auch gegen das Vergessen der Francozeit richtet. Das Ergebnis der Suche ist in diesem Fall sozusagen der „Roman einer Biografie“. Juan Manuel de Prada schert sich ebenso wenig wie seine Kollegen um herkömmliche Gattungsgrenzen: Er vermischt Fakten mit Fiktion, um Leben und Werk seiner Dichterin ans Tageslicht zu befördern, und zeichnet auf diese Weise das Porträt einer ungewöhnlichen Frau. Wenn endlich noch deren Gedichte und Erinnerungen einen großen Teil des Buches einnehmen, dann verschwimmen außer den Gattungen auch noch andere scheinbar feste Größen wie die des Autors oder des Erzählers.

Genau dies ist auch ein Kennzeichen der neuen Schriftstellergeneration in Spanien: dass ihr Umgang mit den Traditionen frei ist, dass sie Einflüsse von überall her zu nutzen weiß und dass ihr Stil dadurch „international“ wird. Die Figur des Hochstaplers Saúl Trífero, der über Spanien nach Norwegen, durch die Vereinigten Staaten und schließlich in ein leer stehendes Botschaftsgebäude am Berliner Majakowskiring taumelt, trägt deshalb nicht zuletzt wegen dieser Weltgewandtheit repräsentative Züge.

Marcos Giralt Torrente liest am 3. Juni aus „In deinen Augen“, Juan Manuel de Prada am 5. Juni aus „In den Winkeln der Lüfte“, Ray Loriga am 7. Juni aus „Trífero“. Clubraum der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Tiergarten, jeweils 20 Uhr.