Tippen macht Schule

In Asien soll während der WM verstärkt gegen illegale Fußballwetten vorgegangen werden, denen vor allem jugendliche Zocker verfallen

aus Seoul MARTIN HÄGELE

Es ist kein schöner Job, Leichen zu bergen, die zerschmettert auf dem Asphalt liegen. Erst recht, wenn es sich bei den Toten um Jugendliche handelt und jeder, der solch eine Szene erlebt, auch mit ziemlicher Sicherheit weiß, warum ein junger Mensch in Bangkok von einem Hochhaus springt. Man braucht nicht einmal den Abschiedsbrief zu kennen: es ist immer die gleiche Story: Das Opfer hat gewettet, auf den Ausgang von Fußballspielen gesetzt und dabei öfters verloren als gewonnen. Dann kamen die Geldeintreiber des illegalen Syndikats, die ihren Schuldner verfolgt haben, bis der keinen andern Ausweg mehr fand.

Es gibt keine genauen Angaben über die Zahl der Zocker, die sich auf diese und andere Art selbst umbringen; es existieren allerdings Schätzungen, wie viel Geld in das in vielen Ländern Asiens verbotene Wettgeschäft mit dem Fußball investiert wird. Mindestens 600 Millionen Euro sind es pro Jahr in Thailand. In Singapur, wo seit vergangenem Monat auf europäische Fußballresultate gesetzt werden darf, kalkuliert die Lotterie „Singapore Pools“ mit einem 500 Millionen Dollar Umsatz aus der kommenden englischen Premiere-League-Saison, für das WM-Geschäft werden über 110 Millionen Dollar veranschlagt.

Dass die Asiaten dabei in erster Linie der Europamarkt und dabei mit Vorliebe England sowie die internationalen Wettbewerbe wie Champions-League und Weltmeisterschaft interessieren, hat besondere Gründe. Sie glauben, dass es bei diesen Wettbewerben absolut korrekt zugeht. Anders als in vielen einheimischen Ligen, wo Schiebereien und Spielabsprachen zum Alltag gehören. In China wurde erst neulich ein bestochener Schiedsrichter für längere Zeit ins Gefängnis gesteckt; in Deutschland sorgte der Fall des Torwarts Lutz Pfannenstiehl für Aufsehen. Obwohl man ihm nicht nachweisen konnte, eine Partie direkt manipuliert zu haben, saß er mehrere Monate in Singapur ein. In den AFC-News, dem monatlichen Organ des Asiatischen Verbandes, fehlt kaum einmal der Hinweis auf Kicker, die über Jahre hinaus gesperrt oder gar lebenslänglich von ihrem Sport ausgeschlossen wurden, weil sie mit Buchmachern unter einer Decke gesteckt und gemeinsame Geschäfte gemacht hatten.

AFC-Generalsekretär Peter Velappan hat im Vorfeld der ersten Fußball-Weltmeisterschaft auf asiatischem Boden einen Appell an die Polizeikräfte des Kontinents herausgegeben, diese Fußballgangster noch schärfer zu verfolgen. Den bei diesem Auftrag meistens überforderten Sicherheitskräften machte er mit dem Beispiel einer Hongkonger Sondereinheit Mut: die hatte anlässlich des letzten englischen Cup-Finals drei Wettsyndikate auffliegen lassen und 21 Buchmacher festgenommen. Es wäre erfreulich, wenn auch deren Kollegen in Indonesien, Vietnam und Thailand gegen diese Landplage ähnlich hart durchgreifen könnten wie in Hongkong und Singapur, so Velappan.

Seltsamerweise boomen die verbotenen Wettgeschäfte gerade in jenen Nationen, deren Liga bzw. Nationalteams nur zur zweiten oder dritten Klasse in Asien zählen. Hauptsächlich infiziert ist davon die soziale Mittelschicht sowie die Jugend in den jeweiligen Ländern. Psychologen glauben, dass dieses Phänomen die traditionelle Glücksspielkultur in Asien abgelöst habe und als Symptom einer elektronischen Globalisierung zu betrachten sei. „Es ist das Spiel unserer Zeit, und es ist nicht so gefährlich wie an der Börse“, behauptet Dr. Wallop Piyamanotham von der Bangkoker Srinakarinvirot-Universität. Man benötigt ja nur jene Dinge, die in dieser Generation das Leben weltweit bestimmen: die Fußballübertragungen per Satellit, den schnellen Informationstransfer dank elektronischer Medien und den elektronischen Transfer des Geldes via Internet und Kreditkarte.

Ganz so einfach wird es den jungen und wettfreudigen Fußballfans während der WM-Tage in Thailand nicht gemacht werden. Das Erziehungsministerium hat zusammen mit der Polizei die Schulen aufgefordert, die WM-Spiele im Rahmen des Unterrichts und geschlossen in der Klasse zu verfolgen. In vielen Schulen und Universitäten werden Lehrer und Professoren die Taschen ihrer Klientel nach Tippscheinen untersuchen. Außerdem sollen die beruflichen Erziehungskräfte ebenso wie Eltern im Monat Juni ein besonderes Augenmerk auf das Freizeitverhalten der Jugendlichen legen: Telefoniert er viel? Hängt er länger vor dem Computer? Braucht er mehr Taschengeld? So heißt es in den aktuellen pädagogischen Ratschlägen. Und falls irgendeiner bei illegaler Fußball-Lotterie erwischt werde, habe er mit Schulverweis zu rechnen, droht Thavorn Chupwa, der Chef eines Rektorenverbandes im Norden Thailands.

Parallel dazu wollen die Polizeikräfte verstärkt auf technischem Gebiet den Buchmachern nachrecherchieren. Internet-Service-Provider wurden gebeten, die Websites mit den Wettlisten herunterzufahren; Banken wurden aufgefordert, die Polizei über ungewöhnliche Geldtransaktionen zu informieren. Und Telefongesellschaften sowie die Kommunikationsbehörde Thailands werden Gespräche zwischen Buchmachern und Zockern aufzeichnen und für Ermittlungen zur Verfügung stellen.

Doch was Technologie und Mobilität betrifft, werden die illegalen Wettfreunde den thailändischen Sicherheitsdiensten bei weitem überlegen sein – von den Großen dieser Branche muss deshalb keiner besonders Angst haben. Auch weil diese Leute so viel Einfluss im Staat besitzen, dass man sie gar nicht groß bestrafen, geschweige denn festsetzen kann. Mit Erfolgsmeldungen der Polizei sollte trotzdem gerechnet werden. Man wird zumindest so viele kleine Fische erwischen, dass die Kampagne nach außen gut aussieht. Und falls während des WM-Turniers wieder ein junger Fußballzocker vom Hochhaus in den Freitod springt, wird darüber nichts in der Zeitung stehen.