Solidarität auf rot-rot

Senat streicht über eine Million Euro aus der „Nachschiebeliste“ von Kultursenator Thomas Flierl, die für Volksbühne und Tempodrom zugesagt waren. Das Geld soll nun aus Lottomitteln kommen

von JAN ROSENKRANZ

Wer im kulturellen Berlin nach Unmut sucht, wird reich belohnt. Denn auch im kleinen Kulturetat wird entgegen anderen Versprechungen gekürzt. Das habe was mit Solidarität mit anderen Ressorts zu tun, hat Senatskanzleichef André Schmitz jüngst auf einer Podiusdiskussion erklärt. Beispiel Tempodrom: Vor lauter Solidarität will die Kulturverwaltung nun die projektbezogenen Fördermittel für das Weltmusikfestival „Heimatklänge“ streichen.

„Ab dem nächsten Jahr ist das Projekt damit praktisch gestorben“, sagt Tempodrom-Chefin Irene Moessinger. Damit könnte das 15. Jahr für das traditionsreiche Festival auch das letzte sein, und es würden jene Recht bekommen, die bereits beim Umzug ins neue Betonzelt davor warnten, das Tempodrom verkomme zum neuen Event-Tempel. Bereits das diesjährige Programm unter dem Motto „Heiratsklänge“ vom 19. Juli bis 11. August muss mit nur der Hälfte der üblichen Fördermittel auskommen – 154.000 Euro. Deshalb läuft das Festival trotz Erhöhung der Eintrittspreise nicht mehr wie üblich sieben, sondern nur noch drei Wochen.

Mit etwas Glück ist aber noch nicht alles verloren. Es gibt noch Lotto. Gerade in Senatskreisen will man darauf künftig noch stärker bauen. Denn Lotto ist keineswegs nur reine Glücksache und außerdem auch solidarisch – auf seine Weise. Wer verliert, fördert nämlich die Berliner Kultur. Und wer will, dass Frank Castorf weiterhin Intendant der Volksbühne bleibt, sollte ganz viel Lotto spielen – und ganz viel verlieren. Dann gäbe es ganz viel Geld zu verteilen im Lottorat, wovon ein Teil an die Volksbühne ginge. Denn nur, wenn zusätzliches Geld kommt, ist Castorf bereit, über eine Vertragsverlängerung zu verhandeln. So hat er es immer wieder gesagt.

Doch nun wird es kompliziert: Eigentlich hätte dieses zusätzliche Geld – 816.000 Euro – per „Nachschiebeliste“ aus dem Kulturhaushalt kommen sollen. Doch wie die taz gestern aus Senatskreisen erfuhr, wurden Teile dieses nachträglichen Entwurfs in der außerordentlichen Senatssitzung vom Montag gekippt. „Flierl konnte sich nicht in allen Punkten gegenüber dem Senat durchsetzen“, sagte ein Sprecher des Kultursenators gestern. Darüber hinaus wollte sich das Haus jedoch in dieser Sache nicht äußern.

Dem Vernehmen nach hat der Senat beschlossen, die inoffiziell bereits zugesagten zusätzlichen Mittel für die Volksbühne (816.000 Euro) und für das Grips Theater (etwa 200.000 Euro) nicht zu gewähren, sondern diese Summen stattdessen zur Schuldentilgung im defizitären Carrousel-Theater zu verwenden. Für das Grips Theater ist das vielleicht ein wenig zu viel Solidarität, denn es könnte letale Folgen haben. Das privatwirtschaftlich geführte Haus ist bereits seit längerer Zeit von der Inslovenz bedroht.

Auch die Volksbühne wartet bereits seit Jahren auf versprochene zusätzliche Mittel. Denn ebenso lange ist allen Beteiligten bekannt: Das Theater ist unterfinanziert. Deshalb sollte das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz endlich 816.000 Euro mehr bekommen, obwohl ganz Berlin im Sparfieber liegt.

Beide Häuser müssen nun auf Lotto bauen. Im Lottorat, der die Verteilung überschüssiger Einnahmen berät, sollen bereits zwei entsprechende Anträge eingereicht worden sein. Von dort soll nun die Rettung nahen, schließlich sitzen im Rat ja nicht nur Hinz und Kunz, sondern auch Wowereit und Gysi.

In der Volksbühne wusste man bereits Bescheid. Verwaltungsdirektorin Gabriele Gornowicz bleibt deshalb weiterhin skeptisch. „Diese Lottomittel hatte man uns auch schon im letzten Jahr versprochen. Bekommen haben wir nichts.“

Bleibt zunächst nichts weiter übrig als Abwarten. Heute tagt der Unterausschuss Theater im Abgeordnetenhaus, die Kulturverwaltung wird alle Neuigkeiten präsentieren, und die Abgeordneten werden reichlich Fragen haben. Alice Ströver von den Grünen würde zum Beispiel interessieren, warum die Kultur immer selbstverständlicher aus Lottomitteln bezahlt wird. „Lotto ist für Projektfinanzierung und nicht zur institutionellen Förderung landeseigener Bühnen gedacht“, begründet sie. Es wird wohl einmal mehr hoch hergehen bei der Beratung. Ahnten doch viele im Kreis der Kulturschaffenden von Anfang an, dass die angekündigte „Nachschiebeliste“ die ein oder andere Überraschung bereithalten wird. Da kann niemand enttäuscht sein.