Recht offizielles Bild

Brillant abgelichtet, aber kaum ein Metropolen-Gefühl vermittelt: Thomas Schadts Neuverfilmung„Berlin: Sinfonie einer Großstadt“ nach Walter Ruttmanns virtuosem Gesamtkunstwerk von 1927

von LASSE OLE HEMPEL

Mit mehr als 30 Dokumentarfilmen hat sich Thomas Schadt einen Namen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gemacht. Mit zwei Grimme-Preisen und dem Deutschen Fernsehpreis im Rücken konnte der in Berlin lebende Filmemacher vor zwei Jahren den SWR und arte für ein Ausnahmeprojekt gewinnen: Die Neuverfilmung von Walter Ruttmanns Klassiker Berlin – Die Sinfonie der Großstadt. Ruttmann war es 1927 gelungen, aus dem Inventar einer pulsierenden Metropole eine faszinierende Filmsinfonie zu schaffen. Durch eine rhythmische Montage konnten Einstellungen von Straßenbahnen, gehetzten Passanten und vielen anderen urbanen Details zu visuellen Noten in einem Film werden, den Edmund Meysels Musik zu einem Gesamtkunstwerk komplettierte.

Schadt wandelte bei seiner Berlin-Sinfonie ganz auf Ruttmanns Spuren, indem er ausschließlich in Schwarzweiß drehte und dabei eine altmodische 35-mm-Kamera benutzte, die kaum Raum für optische Spielereien gab. Im fertigen Film erinnern nicht nur einige Einstellungen an Ruttmann, auch in der Struktur folgt Schadts Berlin: Sinfonie einer Großstadt dem cineastischen Vorbild: Unzählige Berliner Anekdoten, die während eines Jahres gesammelt wurden, bindet er in einen Tagesablauf ein.

Um sich dann aber doch zu distanzieren, schraubt Schadt das Tempo zurück. Er misstraut der modernen Tempo-Utopie, die Ruttmanns Werk prägte, und setzt vielmehr in Gestalt von elegischen Luftaufnahmen, langen Einstellungen und menschlichen Porträts auf Innehalten, Ruhe und Nachdenklichkeit. Berlin ist für ihn vor allem eine beschädigte Stadt, die besonders von ihrer Geschichte geprägt ist. Im Olympiastadion filmt Schadt die steinernen Athleten, die schon 1936 hier standen. Fragend scheinen sie in die Zukunft zu gucken, wie Besucher aus einer anderen Zeit, denen es die Sprache verschlagen hat. Das Sowjetische Ehrenmal in Treptow fängt der Film in all seiner Monumentalität ein. Weitere historisch besetzte Orte vervollständigen das Bild: der jüdische Friedhof im Stadtteil Prenzlauer Berg etwa oder das Checkpoint-Charlie-Denkmal. Und natürlich fehlen auch nicht die Reste der Berliner Mauer. Irgendwann drängt sich der Verdacht auf, dass der Zuschauer hier einen politisch korrekten Geschichtsunterricht präsentiert bekommen soll. Als ginge es darum, der Weltöffentlichkeit zu beweisen, dass sich die ehemalige Reichshauptstadt ihrer Vergangenheit stellt. Eine besondere Perspektive ist kaum auszumachen, stattdessen wirkt vieles recht offiziell.

Auch die neue Berlin-Sinfonie wurde streng nach formalistischen Kriterien strukturiert. So sind die einzelnen Film-Kapitel durch die Bewegungen innerhalb des Bildrahmens definiert: Zu Beginn verlaufen viele Aktionen von links nach rechts, historische Passagen werden durch Schwenks in vertikaler Richtung angekündigt und zum Ende hin bewegt sich alles meist von rechts nach links. Ebenfalls der filmischen Praxis der 20er Jahre entlehnt ist das ästhetische Mittel der visuellen Analogie. Von der Siegessäule schneidet Schadt auf einen Schornstein. Heute freilich wirkt eine solche Montagefolge aber genauso wenig progressiv wie die Passagen, die soziale Kontraste mittels Filmschnitt einander gegenüberstellen. Klischee trifft auf Klischee – einen Stachel besitzt eine solche, bereits in unzähligen Dokumentarfilmen vorgeführte Sozialkritik schon lange nicht mehr.

Wenn Schadt dagegen auf genaue Beobachtung setzt, hat der Film seine stärksten Momente. Szenen, die Menschen in Berlin porträtieren und gängige Klischees widerlegen, sind wohltuende Highlights in einem Film, der zwar gekonnt fotografiert ist, es dabei aber nicht versteht, die Stimmung dieser aufregenden Stadt aufs Zelluloid zu bannen.

Da hilft es wenig, wenn die zeitgenössischen Komponisten Iris ter Schiphorst und Helmut Oehring mit ihrer Filmmusik immer wieder versuchen Akzente zu setzen. Ein Berlin-Gefühl können auch sie nicht vermitteln – und darauf kommt es bei einer Berlin-Sinfonie doch an.

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