Schule geschwänzt? Eltern in den Knast!

Britisches Gericht verurteilt allein erziehende Mutter zu Haftstrafe, weil zwei ihrer Töchter immer die Schule schwänzen. Neue Labour-Familienpolitik: Zahlung von Kindergeld könnte bald vom Wohlverhalten der Kinder abhängen

DUBLIN taz ■ Tony Blairs Wunsch ist den englischen Gerichten Befehl. Vor zwei Wochen sagte der britische Premierminister, dass die Eltern von Schulschwänzern bestraft werden sollten. Jetzt verurteilte ein Gericht in Oxfordshire die allein erziehende Mutter Patricia Amos zu 60 Tagen Gefängnis. Zwei ihrer fünf Kinder, die 15-jährige Emma und die 13-jährige Jackie, waren in den vergangenen zwei Jahren nur sporadisch zur Schule gegangen.

Bildungsministerin Estelle Morris sagte gestern: „Es ist schade, dass es soweit kommen musste, aber wenn das ein Zeichen dafür ist, dass die Gerichte das Thema Schulschwänzen ernst nehmen, dann begrüße ich das.“ Jeden Tag fehlen in England rund 50.000 Schüler unentschuldigt, das summiert sich im Jahr auf mehr als fünf Millionen Schultage. Morris behauptet, dass 40 Prozent der Straßenräubereien, 25 Prozent der Einbrüche und ein Drittel der Autodiebstähle in Großbritannien von 10- bis 16-jährigen Schulschwänzern begangen werden.

Die britische Regierung hatte im vorigen November die Höchststrafe für Eltern von Schulschwänzern von 1.000 auf 2.500 Pfund Geldstrafe sowie drei Monaten Gefängnis angehoben. Im Fall Amos ist das zum ersten Mal angewandt worden. Weitere Maßnahmen sind geplant: So will man Eltern das Kindergeld streichen, wenn ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule gehen. Damit soll die geltende Regel, wonach man nur bei aktiver Arbeitssuche Arbeitslosenunterstützung bekommt, erstmals auf andere Sozialleistungen ausgedehnt werden. Außerdem sollen in 110 besonders betroffenen Schulen in England elektronische Chipkarten als Anwesenheitsnachweis eingeführt und Polizisten stationiert werden, damit die Schüler nicht in der Pause davonlaufen. Die Regierung hat 66 Millionen Pfund für das Maßnahmenpaket bereitgestellt.

Die vier jüngeren Kinder von Patricia Amos werden nun von der ältesten Tochter Kerry Cowman betreut. Die 25-Jährige hat selbst drei Kinder. Vom Gefängnisurteil hörte sie erst, als ihre Mutter aus dem Holloway-Gefängnis anrief und sie bat, sich um ihre Geschwister zu kümmern. „Meine Mutter hat sich nichts zuschulden kommen lassen“, sagte Cowman. „Sie hat meine Schwestern jeden Morgen zur Schule geschickt. Es ist nicht ihre Schuld, dass sie wieder nach Hause gegangen sind. Es muss doch einen Weg geben, Kindern eine Lehre zu erteilen, ohne gleich ihre Mutter einzusperren.“ Ihre Mutter habe sehr unter dem Tod ihrer eigenen Mutter vor zwei Jahren gelitten, sagte Cowman.

Eine Sprecherin der Lehrergewerkschaft fand: „Das ist doch keine Lösung, den Mädchen ihre Mutter wegzunehmen.“ Roy Smith, Chef der Bildungsbehörde von Oxfordshire, verteidigte das Urteil dagegen. „Wir müssen sicherstellen, dass junge Leute die Bildung erhalten, die ihnen zusteht, um sie auf die Chancen, die Verpflichtungen und die Erfahrungen als Erwachsene vorzubereiten“, sagte er. „Das bedeutet, dass wir alles unternehmen müssen, um für einen regelmäßigen Schulbesuch zu sorgen.“

RALF SOTSCHECK