Waffenstillstand kann man nicht essen

Mit dem Ende des Krieges in Angola dringen Hilfswerke erstmals in bisher unzugängliche Regionen vor. Sie finden verhungernde Bevölkerungen und Orte voller Gräber. „Die Schwachen sind bereits tot, und die Starken sind schwach“

JOHANNESBURG taz ■ Seit einem Monat herrscht Frieden in Angola, aber die humanitäre Katastrophe wird immer schlimmer. Zwischen drei und vier Millionen der zehn Millionen Einwohner Angolas waren bereits durch den 27-jährigen Krieg zur Flucht gezwungen worden; jetzt macht es der Waffenstillstand vom 11. April erstmals möglich, dass Hilfsorganisationen in Gebiete vordringen, die bisher gänzlich von Hilfe abgeschnitten waren.

„Wir erwarten eine Verschlimmerung, je weiter wir in die Dörfer im Busch vorstoßen“, sagt Erwin van der Borght, Leiter des belgischen Teams von „Ärzte ohne Grenzen“ in der Hauptstadt Luanda. „Die Lage ist verheerend. Wir finden besonders viele unterernährte Kinder.“

„Ärzte ohne Grenzen“ ist derzeit hauptsächlich im Süden der zentralangolanischen Provinz Huambo und in den benachbarten Provinzen Bié und Huila im Einsatz. Täglich strömen Hunderte in die neu errichteten Lager um die Städte Kuito und Camacupa in der Provinz Bié. Allein nach Camacupa haben in den letzten drei Monaten etwa 25.000 Menschen den Weg geschafft, wo „Ärzte ohne Grenzen“ 400 unterernährte Kinder betreut. Viele von den Neuankömmlingen ließen Alte und Kranke in ihren Dörfern zurück.

Erstmals seit 1998 gelang es der Hilfsorganisation jetzt, in den Ort Chitembo im Süden der Provinz Bié vorzudringen. Die Straßen sind nach dem Ende der Kämpfe endlich passierbar, wenn auch ungeräumte Minenfelder noch Risiken darstellen und die Infrastruktur schlecht ist. Doch Hilfstransporte erreichen erstmals die Dörfer. „Etwa 300 Kinder haben wir im vergangenen Monat von Chitembo direkt nach Kuito in die Provinzhauptstadt gebracht, da ihr Gesundheitszustand alarmierend war“, sagt Van der Borght. Die akute Unterernährungsrate in Chitembo liege bei 26 Prozent.

Die katastrophale Lage sei keine logische Konsequenz des Krieges allein, sondern eine Folge der Kriegsführung in Angola. „Die Regierungsarmee kontrollierte die Bevölkerung, zwang sie zur Flucht aus ihren Dörfern und zerstörte in vielen Gegenden ihre Felder“, sagt Van der Borght. Dadurch sollten plündernde Kämpfer der Unita-Rebellen ausgehungert und geschwächt werden. Ein Beispiel: Chipindo in der südlichen Provinz Huila. Die Stadt war während des Krieges unter Regierungskontrolle isoliert. „Die Sterblichkeitsrate war extrem hoch, es waren kaum Kinder unter fünf Jahren zu sehen“, berichtet Van der Borght. 18.000 Menschen waren akut vom Hungertod bedroht. Für viele von ihnen kam jede Hilfe zu spät – ein Hügel ist heute mit frischen Gräbern überzogen.

Das UN-Welternährungsprogramm WFP versorgt derzeit in solchen Gebieten eine Million Menschen – ein Zehntel der Bevölkerung. Aber der Zustrom in die Lager und die Zahl der Bedürftigen in den Dörfern ist so hoch, dass die Vorräte nicht ausreichen. „Wir haben keine andere Wahl, als die Rationen für einige Gruppen zu verkleinern, damit stärker Hungernde etwas abgekommen“, sagt Ronald Sibanda, WFP-Direktor in Angola. Wenn die Grundnahrungsmittel-Vorräte nicht aufgestockt würden, sei ab September keine Hilfe mehr möglich.

Die Hilfswerke beklagen, dass die Regierung in der neuen Situation eines Waffenstillstandes wenig Unterstützung für sie zeigt. Die Entmilitarisierung von ehemaligen Unita-Soldaten schreitet voran: Nach Regierungsangaben haben bereits 35.000 von etwa 55.000 früheren Rebellenkämpfern ihre Waffen in 39 speziell eingerichteten Lagern abgegeben. Mit ihren Familienangehörigen werden nun etwa 350.000 Menschen in diesen Camps erwartet. Aber die Versorgung der Demobilisierungslager ist äußerst mangelhaft. „Die Schwachen sind bereits tot und die Starken sind schwach“, erklärte Els Adams, Mitarbeiter von holländischen Teams von „Ärzte ohne Grenzen“, nach einem Besuch eines Lagers in Malanje. „Viele Frauen haben ihre Kinder verloren.“

Die katastrophalen Bedingungen in diesen Lagern gefährden den Friedensprozess. „Ich glaube nicht, dass die Unita den Krieg wieder aufnehmen könnte, dafür ist sie zu schwach. Aber wenn den Soldaten nicht geholfen wird, könnten sie wieder zu den Waffen greifen und im Busch Banditentum und Terror zum Überleben betreiben“, befürchtet Van der Borght.MARTINA SCHWIKOWSKI