Der Freigeist der Bäume

Hermann Fürst von Pückler-Muskau und sein großer Landschaftsgarten in Branitz bei Cottbus: Ein Refugium für den gehobenen Lustwandel, das als Gesamtkunstwerk noch heute Aufsehen erregt

von DIRK PILZ

„Wer mich ganz kennen lernen will, muss meinen Garten kennen, denn mein Garten ist mein Herz“, hat Hermann Fürst von Pückler-Muskau geschrieben und damit den von ihm gestalteten Park Branitz gemeint. Dieser letzte große deutsche Landschaftspark des 19. Jahrhunderts gilt als Pücklers reifste Leistung.

Wer sich in Branitz umschaut, bekommt in der Tat eine Ahnung, wofür das Herz des Rittmeisters schlug: Es ist ein Garten, der „gentlemanartigen Lebensgenuss“ mit der „vollen Befriedigung eines edlen Schönheitssinnes“ zu verbinden weiß. Eine Forderung, die der Fürst in seinen 1834 erschienenen „Andeutungen über die Landschaftsgärtnerei“ formulierte. „Wenn der Park eine zusammengezogene idealisierte Natur ist“, notierte er damals, „so ist der Garten eine ausgedehntere Wohnung.“

Eine von Pücklers Maximen ist das „Zonierungsprinzip“. Ihr Charakteristikum sind die großen, von Randbepflanzungen eingefassten Freiräume und die Belebung durch Hügel, künstlich angelegte Seen und Bachläufe. Entstanden sind damit mehrere Blickachsen, sodass die Parkwanderung einem Gang durch eine dreidimensionale Bildergalerie gleichkommt: Der Besucher schreitet eine Folge sich ständig verändernder Bilder ab. Man schaut nach rechts und sieht durch die meisterhafte Gruppierung der Gehölze eine Landschaftsbild stiller Erhabenheit. Später wird links die modellierte Schilfseepartie ins Bild kommen und mit ihrer Seepyramide ein bizarr-irritierendes Element auftauchen, in der Pückler auf eigene Anweisung nach seinem Tod 1871 begraben wurde.

Im Zentrum der Gesamtanlage ist das Ensemble des Schlosses Branitz hineinkomponiert, das sich mit Parkschmiede, Kavaliershaus und Marstall im englischen Tudorstil präsentiert. Umgeben von Blumenbeeten, Plastiken und Ziergehölzen ist ein „Pleasureground“ entstanden, der den „gentlemanartigen Lebensgenuss“ aufs Beste repräsentiert. Die im Kavaliershaus untergebrachte Gaststätte schenkt auch dem heutigen Gast noch etwas Gentleman-Feeling und gibt den Blick auf die sogenannte „Pergola“ frei: Errichtet von Gottfried Semper zeigt sie Reliefs des dänischen Bildhauers Berthel Thorvaldsen und Antikenkopien aus Zinkguss.

Im zweigeschossigen Dreiflügelbau des Schlosses selbst sind nicht nur die historischen Wohnräume samt einer Ausstellung zu Leben und Werk Pücklers zu sehen, sondern auch Gemälde von Carl Blechen. Den 1798 in Cottbus geborenen Künstler wusste Fontane als „Vater der märkischen Landschaftsmalerei“ zu loben. Seine Bilder sind der richtige Kontrast zur Pückler’schen Orientsammlung. Diese Reisemitbringsel, der 100 Hektar große „innere Park“ mit den 600 Hektar des „äußeren“, die geschickte Wegführung und überhaupt das gesamte Ensemble verströmen einen Freiheitsgeist, der in Brandenburg seinesgleichen sucht.

Mit seinem Faible für die englische Gartenkunst ließ Pückler kein gutes Haar an der hiesigen Gartengeometrie. Seine deutschen – oder besser – preußischen Pendants wusste der 1785 auf Schloss Muskau in der Oberlausitz geborene Pückler nur mit Spott und Verachtung zu überziehen. Deutsche Gärten? Das sind „Alleen krumm gewachsener Obstbäume“ mit Schlössern, in deren Innenhöfen sich „Schweine und Gänse belustigen“. Wohin der Fürst auch sah, er fand nur „Pseudoschlösser“ mit Gärten, die nichts seien als „ein Rührei von Kunst und Unsinn“.

Der Fürst wusste, was einen deftigen Verriss ausmacht. Allerdings: Derlei hochfahrende Urteile muss man sich leisten können. Man muss, wie Pückler, aus edlem Hause kommen, auf großem Fuße leben und von der Welt etwas gesehen haben. Bedingungen, die dem gemeinen Märker seinerzeit in der Regel nicht zur Verfügung standen. Und selbst mit den nötigen Mitteln träumte der preußische Geist weniger in ästhetischen Maßstäben, sondern marschierte im Namen von Pflichterfüllung, Königstreue und Untertänigkeit. Die englischen Ideale eines „Gentleman“ hatten darin keinen Platz. Der öffentliche Raum blieb dem Stechschritt untergeordnet.

Allenfalls Peter Joseph Lenné konnte Pückler als Gartenkünstler das Wasser reichen. Aber Lenné war Angestellter in preußischen Diensten, Pückler dagegen ein Individualist von blauem Blute. Er konnte sich seine Neigung zur „vollen Befriedigung eines edlen Schönheitssinnes“ erlauben. Aufgezogen im Herrnhuter-Institut Uhyst bei Bautzen schlug er sich ab 1801 einem Jurastudium zu, trat ins Militär ein und verabschiedete sich in Ehren 1804. Als Rittmeister.

Pückler ging auf Reisen nach England, Frankreich und Holland, später haben ihn seine ausgedehnten Fahrten bis Nordafrika und in den Orient gebracht. Er inszenierte sich als Außenseiter – und genoss seinen Status. Dennoch: Nicht einmal seine Mittel reichten aus, um das Leben zu finanzieren, zu dem er sich berufen sah. Die Standesherrschaft von Muskau versank hoffnungslos in Schulden. Muskau musste 1845 verkauft werden, kann aber heute als er der erste Versuch eines Pückler’schen Gesamtkunstwerkes betrachtet und besucht werden. Noch im selben Jahr begann der Rittmeister a. D. in Branitz seinen zweiten großen Garten zu gestalten.

Er ist ein Refugium für den gehobenen Lustwandel geworden. „Es ist dies“, so Pückler, „die Freiheit der Bäume, nach der wir uns so sehr sehnen.“ Denn bei aller Verschwendungssucht und Großspurigkeit wusste der Fürst doch immer, „dass Geld beinahe alles schafft, aber nicht die tausendjährige Eiche in ihrer Majestät wiederherzustellen, wenn sie einmal gefällt ist“.

Schloss und Park Branitz sind nicht gefallen: Sie bieten eine faszinierende Reise ins Herz des Fürsten von Pückler-Muskau.

Schloss und Park Branitz, Kastanienallee, 03042 Cottbus-Branitz (03 55) 75 15 21

Öffnungszeiten des Schlosses: April–Oktober tägl. 10–18 Uhr, November–März Di–So 11–17 Uhr Öffnungszeiten des Fürst-Pückler-Museums im Schloss: 1. 4.–31. 10. Di.–So. 10–12.30 & 13–18 Uhr, 1. 11.–31. 3. Di.-So. 10–12.30 & 13–17 Uhr

Anfahrt: Bahnhof Cottbus, weiter mit Tram 1 oder per Auto über die B 115 oder die A 15, Abfahrt Roggosen