Fröhliche Kämpferinnen

Die Gitarre herumreichen wie einen Joint, den Feminismus umarmen, rosa anstreichen und funky in die Jetztzeit retten: Am Donnerstagabend spielte die Band Le Tigre im Polar TV

Alle Musik hier und alles Material möchten über sich selbst hinauswachsen

von KERSTIN GRETHER

Es kann einem schon das Herz aufgehen, wenn man die Le-Tigre-Sängerin Kathleen Hanna auf der Bühne agieren sieht. Da steht sie, in einem hübschen Kleidchen, vor einem ziemlich begeisterten Berliner Publikum, und sorgt für Stimmung. Hüpft kraftvoll auf der Bühne herum, als gelte es die unzerstörte Freiheit des eigenen Körpers zu feiern, singt selbst getextete Slogans ins Mikro: „One step forward, five steps back, on cool record in the year of rock-rap.“ Und meint damit, dass Frauen noch gar nicht so furchtbar weit gekommen sind. Dann schneidet sie Grimassen und redet über ihren Alltag als Frau. Wie albern es ist, immer darauf festgelegt zu werden, wie man aussieht, welche Kleider man trägt, ob man Single ist oder nicht, ob man ein Junge ist oder ein Mädchen. Und lacht dabei ebenso herzlich und erschüttert und auch etwas konsterniert, als müsse sie über diese unglaublichen Zumutungen – die uns ja wohl alle angehen – permanent den Kopf schütteln. Mit dieser typischen Kathleen-Hanna-Mimik, die sagt: Müssen wir uns das eigentlich bieten lassen?

Keine Frage: Auch nach fast zehn Jahren Riot-Grrrl-Aktivismus ist diese Musikerin – mitsamt ihrer mittlerweile „elektronischen“ Band Le Tigre – noch immer ein Ereignis. Wenn auch kein Naturereignis. Denn trotz der natürlichen Wut und auch Verletzlichkeit haben Le Tigre auf dieser Tour nichts dem Zufall überlassen. Keine Möglichkeit, der feministischen Message ihrer zweiten CD „Feminist Sweepstakes“ zu entkommen – bis in den letzten Winkel des Raums. Da ist zunächst mal die unübersehbare Videoshow. Zu jedem Song die passenden Bilder, Textzeilen, Slogans. Bilder, die fröhliche Kämpfe zeigen, Bilder von feministischen Demos, Bilder unterschiedlichster Musikerinnen – von Dolly Parton über Aretha Franklin bis Cyndi Lauper. Was ja schon mal ziemlich unüblich für eine Frauenband ist: anstatt die Konkurrenz zu ignorieren oder auszublenden, stellen sich Le Tigre fast übermütig in einen historischen Kontext mit vielen weiblichen Stimmen. Und machen klar, dass es es sie langweilt, nur über sich selbst zu sprechen. Alle Musik hier und alles Material möchten über sich selbst hinauswachsen. Die Performance, die Songs, die Verteilung der Instrumente.

Auch an den Instrumenten demonstrieren die drei Musikerinnen – neben Kathleen Hanna noch JD Samson und Johanna Fateman –, was sie unter Solidarität verstehen. Die Gitarre wird herumgereicht wie ein Joint – was jeder leidenschaftlichen Gitarristin die Tränen in die Augen treiben dürfte. Denn es wirkt sehr zweckmäßig, riecht nach Kunst. Die Songs werden meist gemeinsam gesungen bzw. geshoutet – wie auch auf der CD – und dann haben Le Tige sogar richtige gemeinsame Tanzschritte eingeübt. Und die sehen mehr nach Selbstverteidigungkurs als nach Destiny’s Child aus.

Überhaupt kommen mir Le Tigre an diesem Abend im Polar TV wie spiegelverkehrter Mainstream vor. Üben sich in Kollektivität statt in Konkurrenzkampf, bewahren Humor statt Haltung, sind so plakativ, dass es wieder Pop ist. Und alle tanzen und gehen mit, und Kathleen Hanna bedankt sich dafür. Denn in Frankfurt, sagt Kathleen Hanna, sind die Leute nur blöd rumgestanden, ohne sich zu bewegen. Da fällt mir ein, dass ich auch nur blöd rumstehe, ohne mich zu bewegen. Und ich frage mich, woran es liegt.

Vielleicht weil es teilweise doch zu agitatorisch rüberkommt? Und ich es auch als Projektion empfinde, wenn Kathleen Hanna sich darüber beklagt, dass die ganze Welt in Frau und Mann eingeteilt ist. Le Tigre bringen ja selber kein Liebeslied und keine Ansage mehr ohne Frau/Mann-Problematik. Wenn Feminismus zur alleinigen Identität wird, finde ich das auch schade. Denn das passt ganz gut in einen Mainstream, der von einfachen Polaritäten lebt.

Aber was soll’s: Irgendwie liebt man Le Tigre ja genau dafür, dass sie mit einem Augenzwinkern kein Auge zudrücken. Das scheint auch nicht unbedingt die vielen Jungs im zahlreich erschienenen Publikum abzuschrechen. Wie sie den Feminismus nicht pseudoklug kritisieren, sondern ihn umarmen, rosa anstreichen und funky in die Jetztzeit rüberretten. Und spätestens wenn Kathleen Hanna allen, die sexuell missbraucht worden sind, ein Lied widmet und dann so komisch verzweifelt lacht und etwas ironisch sagt: „Das war jetzt wohl altmodischer Feminismus“, dann möchte man auch gerne den altmodischen Feminismus wiederhaben.

Später, bei der Zugabe, redet sie über Sampling. Über Fehler, die sie gern gemacht hat. Dann setzt ein weiterer Le-Tigre-Hit ein, und man sieht Bilder von Eiskunstläuferinnen, die stolpern, aufstehen und elegant weitertanzen. Und das ist ein schönes Bild, nicht nur für die Message, sondern auch für die Musik von Le Tigre.