Vom Depot ins Glaslager

Neuer Standort für die Berlinische Galerie vorgestellt. Museumschef Merkert und Kulturverwaltung favorisieren statt Viktoria Quartier altes Glaslager in Kreuzberg. Landesmuseum ist seit Auszug aus dem Gropius-Bau schon über vier Jahre obdachlos

„Ein Raumgefüge, das den Geist des 20. Jahrhunderts atmet“

von JAN ROSENKRANZ

Es ist ganz einfach, den neuen Standort für die obdachlose Berlinische Galerie zu finden. Museumsdirektor Jörn Merkert muss eigentlich nur seine Krawatte wenden. Im Stadtplan auf der Vorderseite der Krawatte findet man die alte Heimat – den Martin-Gropius-Bau –, und auf der Rückseite, gleich hinter dem Jüdischen Museum, da liegt die Alte Jakobstraße und an ihr ein altes Glaslager. „Und hier wollen wir hin“, sagt Merkert. Am Dienstag konnte der Museumsdirektor endlich stolz den möglichen neuen Standort präsentieren – eine große Lagerhalle samt vierstöckigem Bürohaus.

„Die großzügige Gestaltung erlaubt uns, ständige und wechselnde Ausstellungen zeitgleich zu zeigen“, sagte Merkert. Bereits seit vier Jahren und vier Monaten findet die Berlinische Galerie hauptsächlich in Depots statt. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit lagern die Schätze moderner Kunst – annähernd 300.000 Fotos, 15.000 Grafiken, 10.000 Gemälde und über 2.000 Skulpturen – verteilt auf die ganze Stadt. Der ursprünglich geplante Umzug in den Eiskeller der ehemaligen Schultheiß-Brauerei im Viktoria Quartier war bereits im vergangenen Jahr durch die Insolvenz des Immobilienprojekts fraglich geworden. Vom neuen Standort sei sogar der Kultursenator begeistert und soll bereits eine Vorentscheidung signalisiert haben. Wenn das Abgeordnetenhaus diese Begeisterung teilt, könnte man schon Ende des Jahres mit dem Umbau des Rohbaus beginnen. Mehr ist es derzeit nämlich nicht – ein Rohbau.

Auf 60 mal 60 Meter Grundfläche und elf Metern Höhe dürfen sich die Projektentwickler von der Immobilienfirma Dibag AG austoben – ganz ohne Rücksicht auf den Denkmalschutz. Dibag-Vorstandsmitglied Hans-Peter Podszus präsentierte bereits einen fertigen Entwurf. So sollen in die Halle ein offenes Zwischengeschoss eingezogen werden und zwei gläserene Aufzüge. Ein „Mall“ genannter gläserner Anbau bietet Raum für Empfang, Museumsshop und Bibliothek. Zusammen mit den im Untergeschoss liegenden Depots stehen 12.400 Quadratmeter Gesamtfläche zur Verfügung. Das Investitionsvolumen beträgt etwa 22,4 Millionen Euro. Die Bauzeit ist mit zwölf Monaten veranschlagt, sodass die Berlinische Galerie frühestens ab Frühjahr 2004 die neue Bleibe beziehen könnte.

Museumsdirektor Merkert kann es noch nicht ganz fassen, dass in nur sieben Wochen aus einer „schäbigen Hülle“ ein „Museumstraum“ wurde – in einem „Raumgefüge, das den Geist des 20. Jahrhunderts atmet“. Auch der Architekt des Lagers, Horst Grützner, zeigte sich entzückt von den Plänen – gelangt sein profanes Zweckgebäude nun doch noch zu später Ehre.

1967 fertig gestellt, diente es in Zeiten des Kalten Krieges zur Lagerung großer Mengen Glas, um bei einer erneuten Berlin-Blockade keinen Engpass entstehen zu lassen. Vor zwei Jahren hatte die Dibag das inzwischen leer stehende Gewerbeobjekt erworben. Sie hatte also bereits ein mögliches Haus – anders als die Berlinische Galerie, die nach dem Konkurs des ursprünglich geplanten neuen Standortes im Viktoria Quartier vor dem gleichen Problem stand wie schon 1998. „Ich kam mir vor wie in einer Zeitmaschine“, sagt Museums-Chef Merkert.

Dem Insolvenzverwalter wurden sechs Monate eingeräumt, einen neuen Investor zu finden. Gleichzeitig hatte jedoch die Berlinische Galerie im Auftrag des Kultursenators begonnen, eigenhändig alternative Standorte zu sichten. Etwa 20 theoretisch mögliche Objekte wurden geprüft, vier kamen in die engere Auswahl: Das Viktoria Quartier mit neuen Investoren, die Münze gegenüber vom Ephraim Palais, der Anhalter Bogen am Tempodrom und das ehemalige Glaslager. Unter finanziellen und musealen Gesichtspunkten schnitt Letzteres am besten ab.

Und so konnte auch Thomas Hölzel von der Firma Art Projekt die Freude über das mögliche Ende der Odyssee nicht nachhaltig stören. Der wies am Rande der Präsentation darauf hin, dass hier von Vorentscheidungen gesprochen wird, die so nicht gefallen seien. Als möglicher neuer Investor im Viktoria Quartier bemühe er sich, die Berlinische Galerie zurück ins Boot zu holen. „Mit mir hat bislang noch niemand darüber gesprochen.“

Merkert ließ sich davon jedoch nicht beirren. Er geht davon aus, dass vor allem die Trockenlegung des alten Schultheiß-Eiskellers finanziell zu riskant sei. Und an den höheren Betriebskosten könne auch ein neuer Investor nichts ändern. Ein Umzug in die Glasfabrik erlaube dagegen, alle Außendepots aufzulösen und damit jährliche Mietausgaben von 270.000 Euro zu sparen. Rainer Klemke, zuständiger Referatsleiter in der Senatsverwaltung für Kultur, bestätigte zwar, dass der Insolvenzverwalter noch bis zum 6. Mai vier vorliegende Angebote prüfe, machte jedoch deutlich, dass in seinem Haus der neue Standort Glaslager favorisiert werde. „Es besteht kein Vertrag, der uns ans Viktoria Quartier fesselt“, sagte er. Berlin hatte den alten Bauträgern bereits 24 Millionen Mark gezahlt. Aber durch deren Insolvenz sei eine gesicherte Bürgschaft bei der Deutschen Bank von über 16 Millionen Euro fällig, die man nun einziehen werde. Das Projekt Glaslager ließe sich damit weitestgehend realisieren. Außerdem habe man mit der Dibag einen verlässlichen Bauträger gefunden, so Klemke. Die Firma hat bereits das neue Landesarchiv gebaut und dabei ein kleines Wunder vollbracht – man blieb im Kostenrahmen und dem Zeitplan leicht voraus. Vielleicht trägt Museumsdirektor Merkert also demnächst seine Stadtplan-Krawatte gewendet.