Wäschermaderl
: Kapitalismusblüten und Sozialkapriolen-Knowhow

Erfolg macht sexy. Stimmt das eigentlich noch? Wirkt nicht schöpferisches Losertum, eine Art heitere Verweigerungsmelancholie, gebildet aus breit gefächerter Jobkuriositätenerfahrung und Sozialkapriolen-Knowhow sehr viel mehr sexy? Zumal auf diejenigen, die eh Erfolg haben und denen man mit diesen Geschichten ihr eigenes Defizit vorführen und zugleich – zu mindest erzählenderweise – stopfen kann?

Bekanntlich kommt es darauf an, was man draus macht. Und der Erzählwert ist nicht gleich der Erlebniswert, eher ist die Sache umgekehrt proportional. Über die schönsten Urlaube weiß man seltsam wenig zu berichten, während man von Katastrophenerlebnissen lange zehren kann. Glück ist langweilig. Ein Fundus von selbst erlebten Kapitalismusblüten, Vagabundentratsch und Sozialkitsch ist eine schiere Sexbombe.

Gerade als Selbstständiger oder fester Freier muss man sich immer mal wieder in Lohnabhängigkeit und in die unwiderstehlichen Fänge von Betriebsstrukturen begeben, um zu lernen, dass es sie immer noch gibt, die altehrwürdigen Anwaltskanzleien in Charlottenburg, in denen einem bei der ersten Begehung des neuen Arbeitsplatzes zugeraunt wird, in dieser Thermokanne sei der Kaffee für die Gehilfinnen, in der anderen der – viel stärkere – für die Rechtsanwälte. Oder dass es sie gibt, die neuen Gemeinschaftspraxen im Prenzlauer Berg, in denen so eine Panik vor hierarchischen Strukturen herrscht, die die Ärzte ständig ein munteres: „Na, für dich auch noch einen Kaffee?“ ausrufen lässt. Dass es Metzgereien mit integriertem Imbiss gibt, bei denen man als Verkäuferin beim Eigeneinkauf für alles Gebratene und Gesottene, nicht aber für die Frischwaren einen Rabatt von 30 Prozent bekommt, die zurückgegangenen Speisen der Kunden sogar ungefragt aufessen oder mit nach Hause nehmen darf. Dass es schließlich Galerien gibt, in denen man als Aufsichtsperson in aller Ruhe „Jugend ohne Gott“ von Horvath in einer Schicht durchhat, weil in fünf Stunden nur drei Besucher kommen, von denen zwei die Galerie verwechselt haben. Der Dritte fragt, ob ich etwas bemerkt habe, seiner Kollegin sei einer ins Auto gefahren, direkt vor meinem Fenster. Dann sieht er sich aber doch die Fotografien eines schiitischen Ausnahmekünstlers an, die da hängen und merkwürdigerweise auch alle direkt von diesem Fenster herausgeschossen zu sein scheinen, und ruft: „Ach, das ist ja mein Auto auf dem Bild! Sogar das Kissen hinten auf der Ablage kann man sehen!“ und streichelt gerührt das Bild. Kein Alarm.

Echte Sternstunden gibt es, wenn man eine Arbeitersituation, die man aus der Literatur kennt, genau so live nacherlebt. Ich hatte mal so eine Sternstunde in einer Wäscherei. Diese unglaubliche Schwüle und die monströsen Dampfbügeleisenmaschinen trugen mich sowieso sofort ins späte 19. Jahrhundert. Als der Chef im Anzug mit seinem Sohn hereinkam und die Vorarbeiterin beflissen hineilte, während alle anderen Arbeiterinnen ihre Augen senkten, gleichzeitig bereit waren, bei zufälligem Augenkontakt devot zu grüßen, begab ich mich ins zweite Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts. Denn Heinrich Manns „Untertan“ im Deutsch-LK war noch nicht so lange her. Der Sohn schlenderte so zwischen den Riesenkraken herum und blieb bei mir stehen. „Na?“ sagte er, und ich dachte noch: „Dietrich Hessling war ein weiches Kind“, da fasste er mich an, und da ich vom Buch her wusste, was jetzt kommen musste, waren wir auch sehr schnell wüst knutschend am Boden hinter einer Bügelmaschine, bis ich ihn von mir stieß und sagte: „Hau ab!“ Darauf schlenderte er weiter. Er musste den „Untertan“ auch gelesen haben.

ALMUT KLOTZ