DAS ENTSETZEN VON ERFURT

Fünf Stunden Angst

Fünf Stunden dauerte es, bis das Entsetzen in Zahlen fassbar wurde: 18 Tote meldete die Polizei gestern gegen 16 Uhr: Neun Lehrer, fünf Lehrerinnen. zwei Schülerinnen und der Täter, ein 19-Jähriger, starben.

Um 11.05 Uhr hatte der Hausmeister mit den Worten „Hier in der Schule wird geschossen“ die Polizei alarmiert. Wenige Minuten später treffen die ersten Streifenwagen ein. Die Polizisten werden sofort beschossen, ein Beamter wird tödlich getroffen.

Das Gymnasium, das sich in einem Gründerzeithaus in einem belebten Wohnviertel befindet, wird von der Polizei abgesperrt. Das SEK bringt Scharfschützen in Stellung. Verletzte werden in Sicherheit gebracht.

Was nach diesem Schusswechsel passiert, liegt zunächst im Dunkeln. Erste Vermutung der Fahnder: Noch mindestens 20 Menschen sollen sich in der zweiten Etage in der Gewalt von zwei Bewaffneten befinden. Hinterher heißt es, der Schütze habe sich allein in einem Raum verbarrikadiert – nachdem er das Massaker angerichtet hat.

An einem Fenster melden sich Schüler mit einem Verzweiflungsruf. „Hilfe“ steht auf einem DIN-A4-Blatt. Via Handy nehmen die Eingeschlossenen Kontakt mit Angehörigen und Bekannten auf. „Wir sind jetzt alle zusammen in einen Raum gebracht worden … es sind Lehrer dabei … ich fühl mich scheiße … hier ist eigentlich alles am Weinen“, sagt eine Schülerin.

Gut vier Stunden lang gelingt es der Polizei und Beamten des Sondereinsatzkommandos (SEK) nicht, Kontakt herzustellen. Dann dringen sie in das Gebäude vor. Von Etage zu Etage, von Raum zu Raum suchen die Beamten am Nachmittag nach den Tätern. Schließlich wird der Täter, ein 19-jähriger ehemaliger Schüler, tot aufgefunden. Kurz darauf finden die SEK-Beamte die anderen Toten. Mehr als 100 Schüler, die sich bis zum Schluss noch in dem Gebäude befanden, werden unverletzt ins Freie gebracht.

Weinende, verstörte Kinder und Eltern werden auf dem benachbarten Sportplatz in einem Rettungszelt von Polizei und Feuerwehr betreut. Eine ehemalige Schülerin berichtet dem Sender n-tv, der Täter sei „sehr aufgeschlossen“ gewesen und habe „immer im Mittelpunkt stehen“ wollen. Sie schildert ihn als intelligent und beliebt. „Er war lebensfroh.“ Trotzdem habe er mit den Lehrern Probleme gehabt, sei unaufmerksam gewesen, habe im Unterricht gestört und sei schließlich von der Schule verwiesen worden. „Ich glaube, er hatte einfach keine Lust mehr auf Schule.“ DPA, TAZ