Ab in die Mutti-Ecke!

Was ist die Familie wert? (5) Viel, sagen die Parteien derzeit und versprechen mehr Kindergeld. Doch viel wichtiger ist etwas anderes: mehr elternfreundliche Jobs

Familienpolitik muss „dirigistisch“ sein. Wenn sie vor den Werkstoren endet, bleibt sie stumpf.

„Ich habe endlich eine Freundin, die nicht in meiner Firma arbeitet“ (die Webseite netslaves.com über die positiven privaten Folgen einer Internetpleite).

Mit einem „Kick-Off-Workshop“ läutet ein US-Computerhersteller das neue Geschäftsjahr ein. 150 Vertriebsmanager aus ganz Europa treffen sich in einem süddeutschen Luxushotel. Seeblick und gutes Essen sind Nebensache, im Mittelpunkt steht die mit geradezu religiöser Inbrunst beschworene Unternehmenskultur. Dazu gehört auch die so genannte Work-Life-Balance: Wie können betriebliche und private Interessen ins Gleichgewicht gebracht werden?

Das Thema stößt nur auf höfliches Interesse. Die Diskussion ist müde. Ein paar Frauen berichten von Erfahrungen mit Babypause oder Teilzeitarbeit. Aber selbst bei ihren Geschlechtsgenossinnen ernten sie damit nur mäßige Aufmerksamkeit. Die Männer schweigen.

Die meisten Anwesenden sind um die 30. Sie haben keine Kinder oder, wie einige Männer in der Kaffeepause verschämt zugeben: Sie haben eine Frau für ihre Kinder. „Vereinbarkeitsprobleme“ zwischen Kind und Karriere gibt es nicht, 70-Stunden-Wochen sind die Regel; Mitarbeiter aus Europa jetten mal eben in die USA und kehren nachts zurück; geschlafen wird im Flugzeug. Dieser hypermobile Lebensstil ist auch der Firmenchefin selbstverständlich – und Teil des Erfolgsrezepts. Weibliche Workaholics, die sich den üblichen Spielregeln anpassen, sind im Männerbund zugelassen.

Das moderne Marketing mit dem familienfreundlichen Firmenimage ändert nichts an eisernen Betriebsstrukturen. „Erst der Kunde, dann die Firma und alles andere zuletzt“, heißt die Maxime. Die wenigen Frauen, die in diesem Hamsterrad mitlaufen, verschieben den möglichen Kinderwunsch auf „später“ – oft so lange, bis es zu spät ist. Manche Männer, die Kinder wollen, nutzen eine auf ihr Geschlecht beschränkte Option: Sie verlassen sich auf die fürsorgliche Gattin im Hintergrund.

Weder das Familiengeld, das die Union fordert, noch die SPD-Kinderhorte werden die niedrige Geburtenrate hierzulande nennenswert steigern. Denn eine familienfreundliche Gesellschaft braucht mehr als Elternprämien und mehr als Ganztagsschulen – so lobenswert Letzteres auch sein mag.

So wird im Wahlkampf viel über Familienpolitik geredet – und ganz wenig über die familienfeindliche Arbeitswelt. Doch was nützen 200 Euro Kindergeld, wenn Papa wie Mama spät nach Hause kommen, weil ein wichtiges berufliches Projekt unbedingt abgeschlossen werden muss? Was bringen (nötige) Kinderbetreuungsangebote am Nachmittag, wenn Eltern auch abends oder am Wochenende für die Firma da sein müssen? Wer riskiert, das kurzfristig angesetzte „Meeting“ einfach ausfallen zu lassen – mit der „rein privaten“ Begründung: Ich muss jetzt meinen Sohn abholen?

Die Work-Life-Balance, das belegt gerade das anhaltende Reden über sie, ist alles andere als im Lot. Der Beruf ist nach wie vor das Zentrale, das sonstige Leben eine Restgröße. Gewiss, auch in Deutschland gibt es Personalchefs, die von der Harmonie von Beruf und Privatem reden. Wenn die Mitarbeiter zufriedener sind, steigt die Produktivität, lautet die Gleichung. Jenseits solcher Balance-Rhetorik ist die Arbeitswelt aber keineswegs darauf eingestellt, dass Eltern besondere Pflichten haben. Eine gezielte Arbeitszeitpolitik für die „Mitte des Lebens“ – die Zeit, in der Kinder großgezogen werden – existiert nur in wenigen Betrieben. Gerade in der digitalen Ökonomie mit ihrer Turbomentalität kollidieren Beruf und Familie.

Es gibt zaghafte neue Ansätze, um vor allem männliche Führungskräfte für dieses Thema zu sensibilisieren. Doch in vielen Vorstandsetagen ist hinter vorgehaltener Hand weiterhin von „Sozialklimbim“ die Rede. Und wenn gutwillige Führungszirkel schon mal über das „familienfreundliche“ Unternehmen diskutieren, heißt das meist „mütterfreundlich“. Dann richten Betriebe – mit gönnerhaftem Paternalismus – eine Art Mutti-Ecke ein und vermarkten sie imagefördernd. Die Arbeitsbedingungen von Vätern bleiben so familienfeindlich wie eh und je.

Was tun? Männer müssen bei der Arbeit „fauler“ sein dürfen. Das ist überspitzt ausgedrückt, trifft aber den Kern. Effektiv für Unternehmen sind Überstundenklopper – zumindest solange die Vielarbeiter nicht ernsthaft ihre Psyche und Gesundheit gefährden. Der kinderorientierte Teilzeitpapa hingegen wirft einfach mehr Sand ins Getriebe als der 16-Stunden-Workaholic.

Die gut gemeinte Berater-Rhetorik vernebelt, dass Erwerbsarbeit und Familie in zentralen Punkten hart aufeinander prallende Gegensätze sind: Wer sich an der privaten Versorgungsarbeit ernsthaft beteiligen will, muss im Job Kompromisse eingehen. Wer Karrierejobs haben will, muss oft sehr mobil sein. Doch öfter mal die Stadt zu wechseln ist schlicht familienfeindlich.

Firmenchefs wollen Workaholics – keine Teilzeitpapas,die nie da sind,wenn man sie braucht

Hinzu kommt eine neue Arbeitsform: die Telearbeit. Sie soll eine harmonische Balance zwischen Job und Elternpflichten ermöglichen. Doch die Verlagerung (von Teilen) des Arbeitsplatzes in die Privatwohnung lässt die Grenzen zwischen Job und Freizeit verschwimmen. Immer verfügbar, immer zu spät, alles verpasst: „Kombination von Mobilzeit und Mobilort“ heißt das in der Sprache der Personalführung. „Twenty four – seven“ propagieren US-Unternehmensberater als neues Arbeitsprinzip: stets zu Diensten, 24 Stunden täglich, sieben Tage die Woche. In der Firma zu Hause und zu Hause online: Da fällt es schwer, einen klaren Strich zu ziehen. Und das droht auf Kosten der Familien zu gehen.

So zeigen die neuen Freiheiten an der Grenze zwischen Beruf und Privatsphäre ein janusköpfiges Gesicht. Ist „Feierabend“ tatsächlich ein altmodischer Begriff, den nur noch Spießer benutzen, wie aus den Gründerfirmen der Neuen Ökonomie zu hören war? Oder eine gesellschaftliche Errungenschaft, ein Refugium, das sich der Arbeitswelt als einzigem Taktgeber des Lebens verweigert? Spielräume für Familie gibt es nur, wenn das Privatleben nicht zum Restposten verkommt, der sich der bezahlten Tätigkeit unterordnen muss. Nur jenseits einer 24-Stunden-Ökonomie finden Menschen Gelegenheit, sich um andere zu kümmern oder „bürgerschaftlich“ zu engagieren.

Was kann die Politik ändern? Folgt man dem neoliberalen Denken, soll sie sich einfach heraushalten aus der Wirtschaft. Doch Familienpolitik darf sich nicht auf Mutti-Prämien und mehr Kitas beschränken. Sie muss in die Arbeits- und Sozialpolitik eingreifen, sonst bleibt sie stumpf. Im besten Fall kann sie so, wie in Skandinavien oder den Niederlanden, gesellschaftliche Werte schleichend verändern. Die dortigen Beispiele zeigen, dass man durch staatliche Anreize familienfreundliche Arbeitszeiten weit stärker belohnen kann, als das bei uns bisher der Fall ist – neben einer garantierten Alterssicherung etwa durch niedrigere Steuersätze oder subventionierte Sozialabgaben. THOMAS GESTERKAMP