Eine Leiche zum Eis

Anna Schildts Diplominszenierung von Dea Lohers „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ erzählt ironisch von verhinderter Liebe  ■ Von Karin Liebe

Langsam reicht es Heinrich. Schon wieder eine, die sich dem armen Kerl an den Hals schmeißen will und die er nur mit rabiaten Methoden loswerden wird. Dabei will er gar nichts mehr von Frauen wissen! Aber Christiane, die wild entschlossen ist, aus ihrer langweiligen Ehe in eine leidenschaftliche Liebe auszubrechen, lässt nicht locker. Vorsorglich holt Heinrich schon mal eine Schubkarre. Damit er die Frauenleiche in spe leichter abtransportieren kann.

In Dea Lohers moderner Fassung vom Ritter Blaubart, der im bekannten Märchen von Charles Perrault die Frauenleichen in einem verbotenen Zimmer stapelt, ist Heinrich ein biederer Damenschuhverkäufer und Massenmörder wider Willen. Federleicht setzt Anna Schildt in ihrer Diplominszenierung auf Kampnagel die Mär in Szene. Eine wellenförmige, verschiebbare Stellwand in Rot-Weiß ist Blickfang auf der Bühne. Sie erinnert an harmlose Kinderfreuden: Jahrmarkt, Kasperltheater, Plantschen im Schwimmbad – wenn da nicht fünf tote Frauen über ihr schweben würden. Doch das Anfangsbild vergisst man schnell wieder, geht doch das Stück zunächst harmlos und ausgelassen weiter.

Auf einer Parkbank (hier: einer Eistruhe) lernen sich Heinrich Blaubart und die 17-jährige Julia kennen. Beide schlecken Eis und mögen sich auf Anhieb. Das könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein, doch Julia will sofort alles: die große Liebe und die Ehe. Da kommt der etwas schüchterne, steife Heinrich nicht mit. Die bereits nach einer Stunde geforderte „Liebe über alle Maßen“ hat er nicht im Repertoire. Julia fackelt nicht lange, nimmt Gift aus einer Ampulle und sinkt auf die Eistruhe nieder. Und Heinrich, trotz aller Verwirrung ein Tatmensch, stopft die Leiche sorgfältig in die Truhe hinein.

Und dort bleibt sie auch. Genauer gesagt: die Schauspielerin Isabella Bartdorff, und zwar bis zum Ende der Aufführung. Ab und zu ragt eine Hand mit einer Waffel Eis aus der Truhe hervor. Sparsam, aber wirkungsvoll setzt die Regisseurin kleine humoristische Akzente in der Saga von der Vergeblichkeit der Liebe – doch eine melancholische Grundstimmung lässt sie stets mitschwingen. Nichts wirkt bemüht um des Effekts willen – mit einer Ausnahme: als die nach Ruhe suchende Judith nicht leibhaftig neben Heinrich auf der Bühne steht, sondern ihr Konterfei auf einem kleinen Bildschirm zu sehen ist. Ein Medium mehr macht noch kein Mehr an Substanz.

Doch im im Wesentlichen setzt Anna Schildt auf die Sprachkraft des Stücks und kann sich dabei voll auf die Präsenz der Schauspieler verlassen – allen voran auf den einzigen Mann auf der Bühne. Ulrich Meyer-Horsch glaubt man sofort, dass die Frauen reihenweise auf ihn fliegen. Nicht weil er so schön oder so klug oder so charmant wirken würde. Nein, sein angenehmes Äußeres, seine höflich-korrekte Art, verbunden mit einem Hauch vornehmer Blässe bieten einfach die ideale Projektionsfläche für alle möglichen Beziehungswünsche. Egal, ob die Prostituierte Tanja nach einem Beschützer sucht oder die exaltierte Anna nach einem Bewunderer – alle Frauen halten ihn für das ideale Objekt ihrer Liebessehnsüchte. Nur die Blinde (Anja Jacobsen) kann von ihm lassen.

Eine träumerische Ironie liegt über allem. Es ist schon komisch anzuschauen, wie die Frauen trotz anfänglich gegenteiliger Beteuerungen um Heinrichs Liebe buhlen, während er sie immer verzweifelter und schließlich abgestumpft zurückweist. Der Zudringlichkeiten weiß er sich nicht anders zu erwehren als durch Gewalt. Indem er ganz sanft eine Hand auf den Mund von Anna legt, sackt sie in sich zusammen – und stirbt. Während Heinrich noch ganz verwirrt über die ungewollte Kraft seiner Mörderhand staunt, steht Anna schon wieder auf und verlässt die Bühne. Auch die anderen „Frauenleichen“ gehen aufrecht ab – Sinnbild dafür, dass sie nur symbolisch ermordet wurden. Diese kleinen Tode, wenn einer den anderen verlässt, sind ja auch die wirkliche Tragik der Liebe. Millionenfach täglich begangen – und ungesühnt wie Blaubarts Morde.

nur noch Sonnabend, 20.30 Uhr, Kampnagel