montagsmaler Die traurige Vertrautheit von Abtreibungskliniken
: Kommst du mit?

Abtreibung gehört zu den wenigen Genres, die eine Frauendomäne darstellen. Aber anders als Kosmetikabteilungen und Selbstverteidigungskurse, bei denen sich Männer den Zutritt freiwillig verbieten, und anders als Literaturzirkel und „Lindenstraße“, bei denen Männer manchmal verschämt-kokett als stille Teilhaber partizipieren, werden sie bei Abtreibung unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen. Nur eben bis zur Tür. Sie sehen ihre Freundinnen heroisch durch diese Tür verschwinden und holen sie durch eine andere Tür wieder ab. Was zwischen diesen Türen geschieht, wird ein ewiges Rätsel bleiben.

Nun hat sich in den letzten Jahren aus verschiedenen guten Gründen der Zwang etwas gelockert, man müsse diesen schweren Leidensweg gemeinsam durchschreiten, um hinterher umso reifer und geläuterter den gemeinsamen Lebensweg weitermarschieren zu können. Zu oft haben unbeholfenes zart gemeintes Armstreicheln und ruckartiges Abwehren desselben den weiteren Lebensweg für immer ungemeinsam gemacht, zu oft haben unpassende Wortwechsel wie: „Ich hätte dir das so gerne abgenommen, mein armer Schatz“ – „Hau ab, du Arschloch!“, einen klaffenden und nicht wieder zu schließenden Riss in das vorher so harmonisch anmutende Beziehungsgewebe erwirkt.

Ich scheine so eine typische gute Freundin zu sein, mit der man so was durchziehen will. Zum Beispiel letzten Freitag. Wir fuhren schön mit dem Taxi zur angesagten Tagesklinik. Da ich schon mit einigen anderen Freundinnen dort gewesen war, stellte sich so etwas wie traurige Vertrautheit ein. Die Augen der Sprechstundenhilfe, erst gleichmütig über mein Gesicht gestreift, schossen wieder zurück und fixierten mich: Sie hatten mich wiedererkannt. Ich stellte mir vor, wie das für einen Mann sein muss, wie er jäh erschrickt und inbrünstig an ärztliche Schweigepflicht glaubt und sich fragt, ob die eigentlich auch für Sprechstundenhilfen gilt. Dann setzten wir uns hin. Anders als in normalen Wartezimmern, in denen man sich die Zeit mit dem Erraten der Krankheiten der anderen vertreiben kann, war hier alles klar. Es war totenstill.

Und dann wurde meine Freundin leise gerufen. Sie lächelte mich tapfer an und sagte: „Bis gleich“, und verschwand hinter der ersten Tür.

Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es jetzt weiterging für sie. Gerne hätte ich eine SMS geschrieben, wie man das macht in Situationen, in denen man nicht lesen kann, aber das kam mir unpassend vor.

Nach erstaunlich kurzer Zeit schwebte eine Frau zu mir und sagte leise: „Sie können jetzt kommen.“ Sie öffnete mir die zweite Tür, und ich stand in einem abgedunkelten Raum, der mit Vorhängen in mehrere Parzellen geteilt war. Die Frau schob einen Vorhang beiseite und mich hinein, dann war sie weg. Auf einem Bett lag meine Freundin, schön und weiß. Ich setzte mich auf den Stuhl, der davor stand, und studierte ihr Gesicht. Da machte sie die Augen auf. „Ich bin ein Penner“, lallte sie langsam, „und ich stehe mit meinen Freunden vor Kaiser’s, und wir winken alle: Tschühüs, tschühüs, du kleines Kind, mach’s gut!“ Und sie hob ihren rechten Arm und winkte in die Luft. „Nicht so laut!“ flüsterte ich und hörte ein leises Schluchzen hinter dem nächsten Vorhang. Ich nahm ihre Hand. Sie brabbelte noch ein bisschen von ihren Freunden bei Kaiser’s. Dann sagte sie plötzlich laut: „Meinst du, das haben sie jetzt einfach weggeschmissen in den Müll?“ – „Nein“, raunte ich beruhigend, „das ist bestimmt im Sondermüll.“ Da kicherte sie schwach und krächzend und drückte meine Hand. Und nebenan wusste man jetzt auch nicht mehr, ob es Schluchzen oder Lachen war.

ALMUT KLOTZ