Es gilt das gesprochene Wort

Auf der Suche nach dem eindeutigen Wort: In Jörg Lukas Matthaeis karger Inszenierung von Heinrich von Kleists „Penthesilea“ geraten die Schauspieler in ihrer körperllichen Präsenz bedrohlich an den Rand des Geschehens

Die Liebe der Amazonenkönigin darf nur mit dem Schwert entschieden werden: Sie muss ihren Geliebten bezwingen, so fordert es das Ritual des Frauenstaates. Die Liebe der Amazonenkönigin jedoch endet in Bestialität: Sie beißt ihren Geliebten tot. Penthesilea metzelt Achill auf dem Schlachtfeld, das eigentlich ein Rosenmeer sein sollte, dazu bestimmt, die Liebenden zu betten. So stand es nicht im Vertrag: Durch ein Missverständnis, durch Machtwille und Korruption, erfüllt sich das Versprechen des Beischlafs im Blutbad: Nachdem die Kriegerin in die Irre geführt wurde, erkennt sie den Fehler und folgt dem Geliebten in den Tod.

Wie Penthesilea beißt, sieht man nicht, man bekommt es, in verteilten Rollen, erzählt. Die Inszenierung von „Matthaei und Konsorten“ verlässt sich ganz auf den bindenden Zauber des gesprochenen Wortes. Das ist ein Wagnis, wenn man dem bildverwöhnten, schnelligkeitsgeschulten Auge des Zuschauers in hundert Minuten vornehmlich Reden präsentiert, und das auch noch in einer nahezu statischen Bühnensituation. Die fünf Darsteller dürfen sich kaum bewegen, kaum die zu ihren sprechenden Mündern gehörenden Körper einsetzen.

Jörg Lukas Matthaei inszeniert in einer Off-Produktion die Verstragödie „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist, der auf den antiken Mythos zurückgreift, auf die Erzählung vom Trojanischen Krieg in der „Ilias“ – einer antiken Schauergeschichten von irren Frauen, in die die tiefe Angst vor dem „entfesselten Weibe“ eingeschrieben ist. Kleist verschob den antiken Stoff in die Sphäre romantischer Welterfahrung und ließ die abgründige Psyche seiner tragischen Heldin in monologisierender Innenschau nicht nur grausam, sondern auch zart erschienen. „Penthesilea“ wurde 1808 veröffentlicht, und erst siebzig Jahre später in Berlin uraufgeführt. Ein Umstand, der sicher auf das unzeitgemäß Drastische des Stoffes (Frauenstaat, freie Liebe, Mord) zurückgeführt werden kann.

Warum Matthaei die „Penthesilea“ inszeniert, mit welcher aktuellen Notwendigkeit, wird nicht ganz klar. Warum er das Publikum mit der Kleist’schen Verssprache herausfordert, bleibt ein Rätsel. Zugegeben, die Schauspieler (Karin Bremer, Richard Maschke, Loretta Pflaum, Alina Ullmann, Erdal Yildiz) leisten viel, wenn sie ihre Mammuttexte ohne Patzer und übertriebenen Bühnenschmäh aufsagen. Durch das Sprechen selbst eröffnet sich für Momente ein theatraler Raum, in dem die Schauspieler in ihrer physischen Präsenz an den Rand geraten. Doch die Suche nach dem eindeutigen Wort, das alle Ambivalenzen beendet – ein Topos romatischer Sehnsucht – bleibt erfolglos. JANA SITTNICK

Bis 5. Mai, 20 Uhr, in der Staatsbank, Französische Straße 35, Mitte