Italien macht blau

Berlusconis Sozialpolitik eint Gewerkschaften von links außen bis rechts außen zum gemeinsamen Generalstreik. Regierung sitzt Protest aus

ROM taz ■ Berlusconi, der Mann fürs Neue, kann einen weiteren Innovationserfolg verbuchen: Erstmals in Italiens Geschichte traten gestern ausnahmslos alle Gewerkschaftsorganisationen in einen ganztägigen Generalstreik. Der Ausstand, der sich gegen Berlusconis Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik richtete, war nicht nur von den drei großen Gewerkschaftsbünden CGIL, CISL und UIL ausgerufen worden. Die Basisgewerkschaften vom linken Rand schlossen sich dem Protest ebenso an wie die berufsständischen Gewerkschaften, die der postfaschistischen Alleanza Nazionale nahe stehende UGL sowie die mit Berlusconis Forza Italia sympathisierende CISAL.

Entsprechend erfolgreich war der Ausstand. Rom präsentierte sich gestern wie im Ferienmonat August. Die bis 10 Uhr fahrenden Busse waren ebenso leer wie die sonst vom Berufsverkehr verstopften Straßen. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen waren geschlossen. Der Nah-, Bahn- und Flugverkehr wurde genauso bestreikt wie die Maut-Zahlstellen auf den Autobahnen. Selbst die Gefängniswärter ließen wissen, dass sie „ideell mitstreiken“.

Gedränge herrschte nur auf den drei Plätzen, von denen sich die Demonstrationszüge zu den Kundgebungen in Bewegung setzten. So wie in Rom war es in allen großen Städten: In Mailand, Turin, Bologna und Florenz hatten sich zehn- bis hunderttausende Menschen zu den Demozügen eingefunden. Dort wiederholten alle Gewerkschaftsbosse die ultimative Aufforderung an die Regierung, zumindest die Neufassung des Kündigungsschutzes zurückzuziehen.

Die Regierung versucht die Protestwelle auszusitzen. Einerseits spekuliert Berlusconi auf ein erneutes Aufbrechen der Differenzen zwischen den drei großen Gewerkschaften, andererseits setzt er auf Ermüdung an der Protestfront. Die CGIL hat mit der Vorbereitung der Mega-Demo vom 23. März und des Generalstreiks ihre finanziellen und personellen Ressourcen arg strapaziert. Dennoch könnte Berlusconi sich verrechnen. Sollte er nicht einlenken, wollen die Gewerkschaften mit aufgefächerten Streiks vor allem die Unternehmen wirtschaftlich treffen und so dafür sorgen, dass die Front aus Regierung und Unternehmerlager auseinander bricht. MICHAEL BRAUN