Einfach, unterhaltend, anspruchslos

Fluxus-Festspiele an Hamburger Orten mit Mais, Trommeln und Teekannen  ■ Von Stefanie Richter

Gabi Schaffner, Moderatorin der Hamburger Fluxus-Festspiele 2002, verteilt ihre Stichwortzettel an das Publikum. „1962“, „Zen und Plankton“, „Penis“, „Schlips“ und „Zufall“ steht da drauf. Das hat alles irgendwie mit Fluxus zu tun, ahnt man. Doch schon läuft sie von der Bühne der Schilleroper, wo es anfängt zu knallen und zu rauchen. Stefan Kohmann ist bereits mitten in der Partitur Popkorn für einen hungrigen Trommler: Bringe in einem Topf Maiskörner zum Knallen und trommle dazu auf einem Instrument. Verteile anschließend das Popkorn ans Publikum.

Zumindest „1962“ ist schnell entziffert: Vor genau vierzig Jahren fanden in Wiesbaden die „Internationalen Festspiele Neuester Musik“ statt, die als Geburtsstätte von Fluxus gelten. An dort aufgeführten Aktionen wie Nam June Paiks Zen for Head – tauche deinen Schopf und Schlips in ein Tintenfass und male damit eine Linie auf den Boden (so viel also zu „Schlips“ und „Zen“) – orientiert sich auch das Hamburger Jubiläums-Festival. Den zwölf jungen KünstlerInnen unterschiedlicher Disziplinen geht es aber weniger um Reproduktion, als um die Frage, wie Fluxus als Idee oder Methode heute funktioniert. Ihre eigenen Partituren lassen sich genau wie die ihrer Vorbilder daran messen, wie überraschend, phantasievoll und unterhaltsam sie sind.

Es gibt zwar viele alte und neue originelle Beispiele für Fluxus-Aktionen, aber keine allgemein gültige Definition. Das liegt auch daran, dass es sich bei Fluxus weniger um eine Bewegung als um ein Phänomen oder eine Geisteshaltung handelt. Bewusst setzt sich Fluxus von regelrechten Schulen wie den Futuristen oder Dadaisten ab.

Künstlerische Manifeste gibt es keine, die kulturrevolutionäre Ges-te von Fluxus ist eher subtil. George Maciunas, aus Litauen stammender New Yorker Künstler und selbst ernannter Fluxus-Papst, bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Fluxus-Kunstvergnügen muss einfach, unterhaltend, anspruchslos sein, es muss sich mit unbedeutenden Dingen beschäftigen, es darf keine Geschicklichkeit oder zahllose Proben erfordern, darf keinen Waren- oder institutionellen Wert haben.“

Schon in den 50ern und inspiriert von buddhistischen Weisheiten („Zen!“) forderte John Cage, der als geistiger Übervater von Fluxus gilt, die freie Entfaltung aller Dinge. In der Kunst benutzte Materialien und Gegenstände sollten um ihrer selbst und nicht um ihrer Funktion willen zum Einsatz kommen. Bei den Hamburger Fluxus-Festspielen sind es Dinge wie Wecker, Radios, Teekannen, elektrische Zahnbürsten, Spaghetti, Anrufbeantworter, getrocknete Erbsen und Luftballons, denen die Möglichkeit zur freien Entfaltung gegeben wird. Zum Beispiel in Costa Gröhns Sonate für Hausfrau: Nutze den Klangraum eines Staubsaugers voll aus.

Fluxus-Partituren sind grundsätzlich so frei angelegt, dass ihre Aufführungen einmaligen, nicht reproduzierbaren Charakter haben (Stichwort: „Zufall“). Das Kunstwerk im eigentlichen Sinne exis-tiert also im Grunde nicht, und auch der Künstler selbst tritt bei Fluxus in den Hintergrund. Dieter Schnebel, emeritierter Musikprofessor aus Berlin, ist schon beim legendären Fluxus-Gründungsfestival in Wiesbaden dabei gewesen. Als Gast-Star führt er heute im Thalia in der Gaußstraße einige seiner Original-Partituren auf ( Nachtmusik für Projektoren und Hörer und Visible Music I für 1 Dirigenten und 1 Instrumentalisten).

Am Freitag in der Altonaer Friedenskirche schließlich trifft Fluxus aufs Christentum. An der Stelle von Haushaltsgeräten können dann Gegenstände des Kirchenalltags zu sich selbst finden, zum Beispiel beim Abendmahl zum Mitnehmen: Die Verteilung kann gestisch oder als Marktgeschrei stattfinden. Und dies sind eigentlich die schönsten Momente von Fluxus, wenn das Publikum etwas zum Mitmachen und Mitnehmen findet. Wenn das demokratische und anti-elitäre Prinzip von Fluxus am deutlichsten zum Vorschein kommt. Außer mit Popkorn im Bauch und obskuren Stichwortkarten in der Tasche geht man bestenfalls auch mit der Idee nach Hause, beim nächsten Staub-saugen etwas genauer in das Gerät hineinzuhören.

Vorstellungen: heute, 20 Uhr Thalia in der Gaußstraße + Freitag, 20 Uhr, Friedenskirche Altona