Madagaskar am Rande des Bürgerkrieges

Der selbst erklärte neue Präsident Ravalomanana hat die Bevölkerung aufgerufen, Straßensperren zu „zerstören“, mit denen Expräsident Ratsiraka Madagaskars Hauptstadt blockieren lässt. Ratsiraka antwortet mit rassistischen Parolen

BRÜSSEL taz ■ Das Gespenst eines ethnisch-regionalen Bürgerkrieges hängt über Madagaskar, das seit dem 22. Februar zwei Präsidenten, zwei Regierungen und zwei Hauptstädte hat. Antananarivo, die legale Hauptstadt im zentralen Hochland des Inselstaates, ist Amtssitz von Marc Ravalomanana, Bürgermeister der Stadt, der nach eigenen Angaben die Präsidentschaftswahl vom vergangenen Dezember mit 52 Prozent der Stimmen gewann, sich zum rechtmäßigen Präsidenten erklärt und eine Regierung gebildet hat. Didier Ratsiraka, der die Wahl verlor, aber eine Stichwahl abhalten und gewinnen möchte, hat als Reaktion darauf Anfang März die Küstenstadt Toamasina, aus der er kommt, zur Hauptstadt der fünf ihm treu gebliebenen Provinzen Madgaskars ausgerufen und damit faktisch die Sezession erklärt.

Die Teile der Armee und der Gendarmerie, die Admiral Ratsiraka gegenüber loyal geblieben sind, haben auf allen Straßen, die zur richtigen Hauptstadt führen, Barrikaden errichtet, um Antananarivo ökonomisch zu strangulieren. Ende März sprengten die Soldaten vier wichtige Straßenbrücken, und seitdem werden in Antananarivo sogar die Grundnahrungsmittel knapp. Am Flughafen der Provinzstadt Fianarantsoa hat Ratsirakas Armee Flugabwehr stationiert, um die Versorgung der Ravalomanana-treuen Landesteile aus der Luft zu verhindern. Am 26. März eröffneten die Streitkräfte in dieser Stadt das Feuer auf tausende Demonstranten, die einen Ravalomanana-treuen Provinzgouverneur einsetzen wollten.

Doch die Mehrheit der Streitkräfte scheint dem neuen Präsidenten näher zu stehen, und nun bricht eine heikle Phase an. Weil Ratsiraka sich weigert, die Straßensperren auf den Überlandstraßen aufzulösen, hat Ravalomanana ihn am 5. April beschuldigt, er habe „der madegassischen Nation den Krieg erklärt“. Der selbst ernannte neue Präsident rief die Bevölkerung auf, die Barrikaden zu „zerstören“. Der neue Machthaber sieht sich im Krieg. General Ferdinand Razakarimanana, der Ravalomanana unterstützt, sagt: „Die Einkesselung Antananarivos wird wie eine militärische Offensive geführt, in der alle diese diplomierten Militärs versuchen, ihre Theorien in die Praxis umzusetzen, also die Provinz Antananarivo zu zerstören und ihre Bewohner in die Knie zu zwingen.“

Ratsiraka steht solchen Tönen nicht nach: Im französischen Rundfunk nannte er seine Gegner „Neofaschisten und Nazis“. Dabei ist es das Lager des früheren Militärdiktators Ratsiraka, das vorrangig zum Vokabular des Rassenhasses greift. Ein Radiosender in Toamasina hetzt regelmäßig gegen die Merina-Ethnie, zu der Ravalomanana gehört. Die Merinas sind die traditionell herrschende Ethnie des madegassischen Königshauses und leben vor allem im zentralen Hochland. In den Augen mancher Küstenvölker gelten sie als Privilegierte und als Fremde, da sie von indonesischen Einwanderern abstammen sollen.

In der nördlichen Stadt Antsiranana hat Senator Ampy Augustin Portos, ein Anhänger Ratsirakas, erklärt, Merinas riskierten ihr Leben, wenn sie sich in seine Region wagten. Es gibt eine Ratsiraka-treue Miliz namens Zatovo in Toamasina, die dort Mitte März Merinas mit Macheten jagte und alle Angehörigen von nicht ortsansässigen Ethnien aufforderte, die Gegend zu verlassen. Insgesamt gab es sieben Tote und dutzende Verletzte.

Schon 1972 war Toamasina der Schauplatz von Pogromen gegen die Merinas gewesen. Die Außenwelt ist alarmiert. Der Senegalese Abdoulaye Bathily, Mitglied der Madagaskar-Kontaktgruppe der OAU (Organisation für Afrikanische Einheit), warnte in einem Interview vor Menschenjagden und rief zum Dialog auf.

Die 28.000 Franzosen auf Madagaskar sind besorgt, ebenso Frankreich, die ehemalige Kolonialmacht, zu der in der Nachbarschaft die Inseln Réunion und Mayotte gehören. In Mayotte nördlich von Madagaskar sind bereits französische Kriegsschiffe stationiert, um im Ernstfall eine Evakuierungsaktion starten zu können. Überall herrscht die Furcht, dass Ratsiraka ganz Madagaskar mit sich in den Abgrund reißt. FRANCOIS MISSER