Mach du mal den Farbigen

Mit Hilfe von Spielen und Gesprächen will das Netzwerk für Courage und Demokratie Jugendlichen vermitteln, was Ausgrenzung oder Mut bedeuten können. Zwei Teamer waren in Hellersdorf

von SUSANNE AMANN

Sven Frye ist genervt. Er hält kurz inne und lässt seinen Blick über den großen Stuhlkreis gleiten, in dem sich vor allem die Mädchen auf eine Seite geschart haben. Er strafft die Schultern und versucht dann zum mittlerweile dritten Mal, sich gegen den schier undurchdringbaren Geräuschpegel kichernder und kieksender Mädchen durchzusetzen. Aber hat man gegen pubertierende 14-Jährige eine Chance?

Sven Frye steht zusammen mit Kollegin Nadja Weck in der Klasse 8a der Leonardo-da-Vinci-Oberschule in Hellersdorf. Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden in einer Schulklasse sind. Sie sind Teamer der Berliner Zweigstelle des Netzwerkes für Courage und Demokratie, das vor allem in den neuen Bundsländern rund fünfmal pro Woche so genannte Projekttage in Schulen durchführt. Mit Hilfe von Spielen und Gesprächen wollen sie vermitteln, was zum Beispiel Ausgrenzung oder Mut bedeuten können.

Entstanden ist das Projekt in Dresden, wo sich eine bunte Gruppe aus Studenten, Gewerkschaftsjugend und Umweltgruppen nach den letzten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt nicht damit abfinden wollte, Jugendliche den Parolen von DVU und NPD zu überlassen. Nach einem Seminar in Tschechien war aus einer Idee ein Konzept geworden, wenige Wochen später fanden die ersten Projekttage statt.

„Wir haben nicht den Anspruch, rechte Jugendliche auf den Pfad der Tugend zurückzubringen“, erklärt Andrea Binke vom Berliner Courage-Büro das Konzept. „Wir wollen vielmehr bei den Mitläufern ansetzen, bei denen, die noch keine gefestigte Meinung haben.“

Mit einer Mischung aus Informationen und Selbsterfahrung will man Jugendliche zum Nachdenken bringen, denen den Rücken stärken, die sich rechten Meinungsführern in Klassen nicht unterordnen.

In der Klasse 8a der Leonardo-da-Vinci-Oberschule in Berlin-Hellersdorf sitzen rund 30 Schüler, die nicht so aussehen, als ob sie besonders viel rechtes Gedankengut mit sich herumschleppen würden: Die Jeans hängen viel zu weit auf den schmalen Hüften, die Schnürsenkel der Turnschuhe sind offen. Die Mädchen kichern hinter vorgehaltener Hand, die Jungs klopfen Sprüche. Vielen scheint der Zweck des Projekttages nicht ganz klar. Dass sie trotzdem richtig sind, merken Sven und Nadja im Laufe des Vormittages jedoch immer wieder.

„Ich hab keinen Bock, der Neger zu sein“, mault Steffi beim Rollenspiel. „Stell dich nicht so an, das ist doch bloß ein Spiel“, raunzt Robin zurück. „Na toll, dann kannst du ja auch den Neger spielen!“ Nadja steht mit unbewegtem Gesicht hinter der Gruppe: „Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass wir nicht Neger sagen, sondern Farbiger.“ Steffi zuckt mit den Schultern, anzukommen scheint die Botschaft nicht.

In Berlin und Brandenburg arbeiten rund 60 Teamer für das Netzwerk, gefördert wird es seit einem guten Jahr von dem europäischen Antirassismusprogramm Xenos. Bei der Schulung der Teamer und der ständigen Weiterentwicklung der Projekttage arbeitet man mit anderen Antirassismusprojekten zusammen. „Wir gehen da nach dem Baukastenprinzip vor“, so Andrea Binke. „Referenten anderer Initiativen schulen deshalb unsere Teamer.“ Denn oft komme es darauf an, sich zum Beispiel gut in der rechten Subkultur auszukennen, Musikgruppen und bestimmte Abzeichen zu erkennen. „Auch Lehrer wollen immer häufiger Informationen. Denn die wissen oft einfach nicht, dass der Aufdruck 88 auf T-Shirts nicht für eine amerikanische Basketballmannschaft, sondern für Heil Hitler steht.“

Die Schüler in der Klasse 8a wissen dafür relativ wenig über den Reichtum und wie er auf der Welt verteilt ist. In einer Ecke hängt ein kleines Schild, auf dem Asien steht, drei Stühle symbolisieren den Reichtum, den dieser Kontinent besitzt. Sven schickt 14 Schüler in diese Ecke, sie sollen sich zusammen auf die drei Stühle setzten. „Das geht doch überhaupt nicht“, empört sich Manja. „Nein, gerecht ist das nicht“, bestätigt Sven.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ist schon seit über zwei Jahren der Schirmherr des Projekts, das in den fünf neuen Bundesländern und Berlin arbeitet. Aber auch Verbände aus den alten Bundesländern haben Interesse an dem Konzept angemeldet. „In den neuen Bundesländern und Ostberlin stimmt oft die Wahrnehmung überhaupt nicht. Da schätzen Schüler den Ausländeranteil ihrer Stadt auf zwischen 40 und 50 Prozent, dabei liegt er nicht einmal bei zwei Prozent“, so Binke zum Unterschied. In Westberlin und den alten Bundesländern gebe es dagegen einen ganz anderen Rassismus, der sich in Antisemitismus, Sexismus und Diskriminierung ausdrücke.

In der Schule in Hellersdorf neigt sich der Projekttag seinem Ende zu. Sven und Nadja sehen müde aus, nicht alles lief so, wie sie sich das vorgestellt hatten. Charly erklärt beim letzten Spiel, sich nicht gegen rassistische Witze im Freundeskreis wehren zu wollen. „Ich lache halt gerne“, bekennt sie freimütig. „Ich fand es gut, mal über die Vorurteile zu reden, die jeder hat“, resümiert Robin, „es bringt ja nichts, zu sagen ‚Ausländer raus‘, denn es gibt ja auch welche, die nützlich sind.“ Nadja guckt ein wenig gequält. „Das finde ich jetzt ein bisschen heftig“, macht sie einen letzten Versuch. Aber Robin versteht nicht, was sie an seiner Aussage stört.