Ausufern soll es

Schreiten, rennen, taumeln: Die Theatergruppe Ramba Zamba zeigt „Die Schöne und das Monster“ in der Kulturbrauerei als ein Stück über Fehler und Behinderung

Die Frau ist keine Schöne, und auch das Monster entpuppt sich nicht als Prinz

Sekunden vergehen, ehe ich den bestialischen Lärm aus den Boxen wahrnehme, der mich erschüttert. Auf brauner Wellpappe flimmern die Bilder eines Videos vorbei – Bomber im Anflug auf die USA, Lichtblitze, rennende Menschen. „Duck and cover“, schießt es mir durch den Kopf, und da ist sie auch schon, die Schildkröte, die den Amerikanern im Kalten Krieg das richtige Verhalten für den Fall eines atomaren Angriffs vormacht.

Eigentlich wollte das Theater Ramba Zamba ein Märchen zeigen, eine neue Fassung von „Die Schöne und das Monster“. Die knalligen Farben der Bühnenwelt im „Theater im Pferdestall“ der Kulturbrauerei sind jetzt allerdings das Einzige, was noch entfernt an Disneys Kinofassung erinnert. Hier gibt es eine orangefarbene Hexe, ein neongelbes Königspaar – Frau Krake und Herr Hammerhai –, knallblaue Katzenfrauen oder einen grünen Psychologen mit langem Storchenschnabel. Manche Schauspieler sind ungewöhnlich klein, einige sehr mager, andere pummlig. Hopsend, schreitend, drehend, rennend oder taumelnd bewegen sie sich über die Bühne, Gesichtszüge drücken aus, was sprachlich untergeht.

Das Theater Ramba Zamba gehört zum Verein „Sonnenuhr“, der eine Kunstwerkstatt für Menschen mit geistiger Behinderung anbietet. Über fünfzig Schauspieler und Musiker gehören zu dem seit 1991 bestehenden Ensemble. Themen und Stücke werden mit Blick auf die Situation der Spieler ausgesucht. Etwa Kafkas „Die Verwandlung“, in der Gregor Samsas Verwandlung in einen Käfer als Metapher für Behinderung und die folgende Ausgrenzung gezeigt wird.

Auch die Lesart der neue Inszenierung „Die Schöne und das Monster“ orientiert sich am Alltag der Mitwirkenden. Das Monster hat Fehler, will deshalb aber nicht gedemütigt werden. Gunnar Mann spielt keinen Monstersohn in grusliger Maskerade – er ist ein Monster. Tappt mit wildem Blick und mit blauen Steppschuhen klackend im Rhythmus des Lärms der Rattenbluescombo über die Bühne. Er droht seiner Krakenmutter, sie zu fressen, wenn sie ihm keine Ehefrau besorg. Er frisst seine Frauen und lässt nur ein Knochenbündel übrig, dass von den Höflingen verscharrt wird. Erst die dritte Frau begegnet ihm ohne Arroganz.

Sie ist keine Schöne, und auch das Monster entpuppt sich nicht als strahlender Prinz. Aus eineinhalb Seiten märchenhafter Textvorlage ist ein großartig inszeniertes Stück geworden, in dem es um Fehler und Behinderung, Ausgrenzung und Bindung, Zuneigung und Sexualität geht. Schelmisch und voll schwarzem Humor, lärmend und mit viel körperlichem Einsatz toben die Ramba Zambas fast drei Stunden über die Bühne. Nach der Pause lässt die Konzentration bei den Darstellern teils merklich nach, aber ihre Improvisationen sind herrlich und werden vom Publikum mit herzlichen Lachern begrüßt.

So offensichtlich wird Verabredetes nicht eingehalten, dass die etwas kopflastige Regiearbeit schnell vergessen ist. „Duck and cover“ wird zur Rettungsformel, falls die Freude über den Applaus in ein Kuchenschlacht mit der Hochzeitstorte ausufert. Lautes, ungestümes, verrücktes Theater, wunderbar. SILKE LODE

Nächste Vorführungen am 19., 20., 24. und 25. Mai im Theater im Pferdestall/ Kulturbrauerei, Knaackstraße 97, Prenzlauer Berg