Vom Reisen zum Regieren

David Allen, Bermuda: früher Reisejournalist, heute Tourismusminister des Landes. Ein Porträt

von STEFAN SCHOMANN

Bei einem Sektfrühstück im Hotel Adlon hat David Allen mir den Glauben an meinen Beruf wiedergegeben. Hat mir durch sein leuchtendes Beispiel vor Augen geführt, dass selbst ein reisender Reporter es im Leben zu etwas bringen kann. Zu einem ehrenwerten Mitglied der Gesellschaft nämlich, mit Juniorsuite im Adlon, maßgeschneiderter Garderobe und Visitenkarten mit eingeprägtem Wappen: The Honorable David H. Allen, Member of Parliament, Minister of Tourism, Bermuda. Er ist 58 Jahre alt, eine stattliche Erscheinung mit grau meliertem, wirbeligem Haar, bernsteinbraunen Augen und ebenso getönter Sonnenbrille.

Eine der einsamsten Inseln der Erde, ein Schnipsel Land nur mitten im Atlantik, scheint als Stützpunkt für einen Vielreisenden nicht sonderlich geeignet. 1943, als Allen hier zur Welt kam, war Bermuda nur per Schiff oder Wasserflugzeug zu erreichen. Dennoch oder ebendeshalb trieb es ihn hinaus in die Welt. Mit 18 trampte er von Marokko bis Ägypten, dann längs durch Afrika. Die Briefe nach Hause verfehlten ihre Wirkung nicht. „Du schreibst gut, du solltest das verkaufen“, befand die Mutter.

Fortan adressierte er seine Briefe an amerikanische Zeitungen und wurde bereitwillig zwischen Miami, Denver und Detroit gedruckt. Er schrieb Reportagen, Feuilletons, Sportberichte, Kolumnen und etliche Reiseführer. Allen besuchte aller Herren Länder – „bei 120 hab ich aufgehört zu zählen“ –, wobei er eine Vorliebe für abseitige und bizarre Ziele an den Tag legte. Besser Mandalay als Massachusetts, lieber Rarotonga als Rom. Mit den Jahren verschoben sich seine Interessen altersgerecht vom Abenteuer- zum Luxustourismus. Er unterzog Nobelhotels vom Sacher bis zum Ritz eingehender Prüfung, bestieg legendäre Züge wie den Eastern & Oriental Express.

Luxus bedeutet in seinem Fall ein Stück Heimat. Bermuda zählt zu den exklusivsten Zielen der Welt. Trotz ihrer Abgeschiedenheit nimmt die jahrhundertealte britische Kolonie in der Geschichte des Tourismus einen Ehrenplatz ein. Schon 1884 erkor Prinzessin Louise, die Tochter Königin Viktorias und Kanadas First Lady, das subtropische Eiland zu ihrem Winterdomizil. Woodrow Wilson hatte hier eine Geliebte, Mark Twain ebenfalls. Eugene O’Neill erschrieb sich in seinem Ferienhaus den Nobelpreis: „Trauer muss Elektra tragen“ ist ebenso ein Kind Bermudas wie seine Tochter Oona, die später Chaplin heiratete.

Vielleicht ist dieses Bermuda doch kein so schlechtes Domizil für einen Weltreporter. Wenn er nur nicht ständig auf dieses eine Thema angesprochen würde: „Vor Jahren zog ich einmal durch die jordanische Wüste. Wir trafen einen Beduinen, eine Gestalt wie aus der Bibel. Aber als er hörte, dass ich aus Bermuda käme, zog er gleich mit den Fingern ein Dreieck in die Luft.“

Neben Reisen und Schreiben pflegt Allen als dritte Passion die Politik. Dreizehn Jahre harrte er als Schattenminister in den Reihen der Opposition aus, bevor die Labour Party 1998 an die Regierung kam. Dennoch hat sich sein Leben nicht grundlegend geändert. „Ich habe nur die Seite gewechselt, bin wie Alice hinter die Spiegel getreten.“ Über Jahrzehnte hat er als professioneller Gast das touristische Sortiment der Welt unter die Lupe genommen. Solch ein Reisepapst ist nicht immer ein bequemer Partner fürs heimische Gewerbe: „Ich bin mindestens so pingelig wie ein guter Hotelmanager.“

Touristiker anderer Länder indes beneiden Bermuda um einen Minister mit so viel Sachverstand. Er, der einst per Anhalter durch die Welt zog, verkehrt heute mit Moguln und Exzellenzen. Kürzlich speiste er zum Beispiel mit König Juan Carlos, der hinterher mit ihm Cohibas rauchte, die ihm Fidel Castro verehrt hatten. Und so einer prostet mir im Adlon zu: „Zum Wohl, Herr Kollege!“ Wenn das kein Ansporn ist.

Texte von David Allen finden sich im Apa Guide „Bermudas“, Langenscheidt 1995.