taz-Reporter in China festgenommen

Chinas Behörden mögen keine Medienberichte über Proteste entlassener Arbeiter und verweisen taz-Korrespondenten aus der nordöstlichen Industriestadt Daqing. Dort demonstrieren seit dem 1. März immer wieder ehemalige Ölarbeiter

BERLIN taz ■ Der China-Korrespondent von taz und Die Zeit, Georg Blume, ist gestern in der nordostchinesischen Stadt Daqing vorübergehend festgenommen worden. In Mao Tse-tungs einstiger Vorzeigeindustrieregion protestieren seit dem 1. März frühere Ölarbeiter (siehe taz vom 22. 3.). Wie Blume der taz telefonisch berichtete, saß er am „Platz des eisernen Mannes“ vor der Zentrale des Ölkonzerns PetroChina noch im Taxi, als plötzlich zwei Männer zustiegen und mit ihm wegfahren wollten. Zunächst habe er sich aus dem Auto befreien können, doch herbeigeeilte Polizisten hätten die beiden als Sicherheitsbeamte identifiziert und ihn festgenommen.

Nach drei Stunden und einem Verhör wurde Blume wieder frei gelassen. Zuvor habe er ein Papier unterzeichnen müssen, dass er nie wieder ohne Erlaubnis der Behörden in Daqing recherchieren werde. Ihm wurden Fingerabdrücke abgenommen. Er wurde aus der Stadt gewiesen mit den Worten: „Das wird noch Konsequenzen haben.“ Am Abend kehrte er nach Peking zurück.

Ausländische Journalisten benötigen in China für Recherchen außerhalb Pekings eine Genehmigung der Behörden. Das dauert oft Wochen, sofern die Genehmigung nicht wie in politisch eher heiklen Fällen ohnehin meist verwehrt wird. Dies macht eine aktuelle Berichterstattung eigentlich unmöglich und zwingt Journalisten, schon bei der normalen Berufsausübung gegen die Vorschriften zu verstoßen. Damit sind die Korrespondenten ständig mit der Gefahr konfrontiert, des Landes verwiesen zu werden.

Wie Blume der taz berichtete, sei in Daqing zu spüren gewesen, dass die Menschen offenbar von Arbeitseinheiten und Parteikomitees angewiesen wurden, nicht mit Ausländern zu sprechen. „Es werden alle Mittel des Drucks unterhalb der Gewaltanwendung eingesetzt, um die Menschen vom Protest abzuhalten“, so Blume. Doch ehemalige Angestellte von PetroChina demonstrierten weiter. „Mal sind es dutzende, mal, wie heute, hunderte“, so Blume. Die Ölarbeiter hätten vor einiger Zeit bei ihrer Entlassung eine gar nicht unerhebliche Abfindung bekommen, die jedoch inzwischen aufgebraucht sei. Jetzt stünden die meisten der in den letzten Jahren in Daqing entlassenen 80.000 Ölarbeiter vor dem Nichts. Sie fordern neue Jobs und die Einhaltung früherer Pensionszusagen.

In Chinas nordöstlichem so genannten „Rostgürtel“ stecken die meisten Staatsbetriebe, einst schwerindustrielle Kombinate, in großen Schwierigkeiten. Ihre Reform setzt hunderttausende Arbeiter frei, für die es kaum neue Jobs gibt. Behörden und Betriebe halten oft Zusagen nicht ein, während die Privatisierung profitabler Betriebsteile nicht selten mit Korruption einher geht. Kommt es zu Protesten, berichten die kontrollierten Medien nicht oder denunzieren Demonstranten als Kriminielle. Der in Hongkong lebende chinesische Arbeiteraktivist Han Dongfang bezeichnete kürzlich die Proteste in Daqing und Liaoyang als „die größten organisierten Demonstrationen seit 1989“. Gestern sagte er der taz: „Die Proteste werden immer politischer.“

Chinas Präsident Jiang Zemin forderte gestern in einer Rede in Berlin, die Globalisierung in eine neue Richtung zu lenken. Bislang hätten von ihr vor allem die Industrieländer profitiert. Ziel müsse sein, den Teufelskreis zu durchbrechen, „dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.“ Bei Jiangs anschließendem Besuch in Potsdam protestierten wieder Anhänger von Falun Gong.

SVEN HANSEN