Eckpunkte einer Perspektive

Außenminister Fischer zieht Lehren aus dem gescheiterten Oslo-Friedensprozess. Ohne eine internationale Intervention kann eine Deeskalation im Nahen Osten nicht gelingen

Es gibt kein Zurück nach Oslo: Vorhandene Initiativen müssen gebündelt und umgesetzt werden

Tragisch an der Entwicklung im Nahen Osten ist, dass die Konturen einer friedlichen Regelung des Konflikts seit längerem klar umrissen sind: Einen Frieden wird es nur geben, wenn es neben dem israelischen auch einen souveränen, lebensfähigen palästinensischen Staat geben wird. Jerusalem wird die Hauptstadt beider Staaten sein mit einer international garantierten Regelung für die heiligen Stätten. Israel wird sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen, zwar nicht auf die Grenzen vom 4. Juni 1967 und nicht unter Aufgabe aller Siedlungen, aber eine territoriale Regelung mit Grenzkorrekturen und Gebietsaustausch bei Räumung von israelischen Siedlungen jenseits der großen Siedlungsblöcke zeichnet sich ab. Das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge wird prinzipiell anerkannt, faktisch jedoch werden im nächsten Jahrzehnt nur einige zehntausend nach Israel zurückkehren können. Die anderen werden mit internationaler Unterstützung finanziell entschädigt, in arabischen Ländern integriert, oder sie erhalten Niederlassungsmöglichkeiten in anderen Ländern.

Wie viele Menschen müssen noch sterben, bis dieses Szenario realisiert werden kann? Kann nur politisches Engagement von außen einen Erfolg versprechenden Ausweg aus der verfahrenen Situation eröffnen?

Der Oslo-Prozess ist gescheitert. Die Machtasymmetrie zwischen Israel und den Palästinensern schlug sich in einem ebenso asymmetrisch angelegten Verhandlungsprozess nieder, an dessen Anfang die Anerkennung Israels stand, die palästinensische Seite sich jedoch mit kaum präzisierten Versprechungen auf einen Rückzug Israels und der vagen Hoffnung auf einen eigenen Staat zufrieden geben musste. Man mag diese fehlende Balance heute rechthaberisch geißeln – allein die gegenseitige Anerkennung und das Versprechen, eine Regelung auf dem Verhandlungswege zu suchen, war ein Fortschritt. Dass der auf Vertrauensbildung ausgerichtete Phasenprozess schlussendlich eine Gesamtlösung ermöglichen werde, war eine realistische Option.

Doch welche Lehren sind aus seinem Scheitern zu ziehen? Nicht die Gewalt der zweiten Intifada hat den Friedensprozess zum Scheitern gebracht. Die Gewalt ist vielmehr Produkt des gescheiterten politischen Prozesses. Elementar für den Oslo-Prozess war die politische Perspektive einer Endstatusregelung.

Die zögerliche bis verweigerte Umsetzung der Verpflichtungen aus den Oslo-Verträgen durch Israel, die forcierten israelischen Siedlungsaktivitäten und die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen ließen jedoch alle palästinensischen Hoffnungen schwinden. Die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich rapide. Auch die palästinensische Führung versagte bei der Herausbildung einer demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaft. Oslo ignorierte den Zusammenhang zwischen dem Friedensprozess und den Menschenrechten und der Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft in Palästina. Die Palästinenser warteten vergeblich auf die Friedensdividende. Statt Vertrauen zu bilden, wurde Vertrauen zerstört.

Hinzu kam: Das Rabin’sche Motto „Über den Frieden verhandeln, als gäbe es keinen Terror“ geriet in Vergessenheit. Terroranschläge wurden von den politischen Führungen beider Seiten instrumentalisiert. Mit der Forderung nach einer absoluten Waffenruhe hat sich die israelische Seite jedoch politisch von den Aktionen islamistischer Selbstmordattentäter abhängig gemacht. Arafat brachte sich mit seinem Unwillen, zwischen legitimem Widerstand gegen die Besatzung und illegitimen Mitteln zu unterscheiden sowie den Terror zu delegitimieren, immer mehr ins politische Abseits.

Es gibt kein Zurück nach Oslo, keine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit einem offenen Ende. Eine Deeskalation wird nur gelingen, wenn nicht nur über die Beendigung des Terrors, sondern auch über die Beendigung der Besatzung geredet wird, und wenn die Eckpfeiler der Endstatusregelung sowie ein überschaubarer Fahrplan zu deren Implementierung festgelegt werden. Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit einer solchen politischen Perspektive ist jedoch die Wahrnehmung auf beiden Seiten, dass die andere Partei gewillt ist, dem Opponenten eine akzeptable Regelung zuzugestehen. Der fundamentale Vertrauensverlust zwischen beiden Seiten gibt keinen Anlass zu einer solchen Annahme. Hier kann nur die Intervention Dritter weiterhelfen, indem sie den Vertrauensmangel durch internationales Engagement zunächst ersetzt, schrittweise zur neuen Vertrauensbildung beiträgt und damit eine politische Perspektive gewährleistet.

Fischers Vorschläge für eine Initiative der EU setzen nun endlich hier an. Die Grundannahmen: Beendigung der Besatzung ist die notwendige, wenn auch nicht ausreichende Voraussetzung für jede Deeskalation. Es bedarf keiner neuen Friedenspläne, sondern vielmehr einer Kombination von vorhandenen Friedensplänen und Initiativen mit einem Fahrplan für deren schrittweise Realisierung.

Der Friedensprozess scheiterte nicht an der Gewalt – die Gewalt ist Produkt des gescheiterten Prozesses

Grundlage für einzelne Umsetzungsmaßnahmen ist ein Gesamtkonzept, dessen Einzelelemente aufgrund bisheriger israelisch-palästinensischer Gespräche weitgehend Konsens sind.

Mit der Kombination von Sofortmaßnahmen – Rückzug, Trennung, Staatsproklamation, internationale Konferenz – und einer zeitlich und politisch fixierten Verhandlungsperspektive für abschließende Regelungen wird eine politische Perspektive eröffnet. Mit diesen skizzierten Eckpunkten sind auch zentrale Elemente des so genannten Endstatus benannt, die im Einzelnen gewiss noch der Präzisierung in Verhandlungen bedürfen, aber nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt werden können. Hinsichtlich der Flüchtlingsproblematik und der Tempelbergfrage bleibt allerdings eine Orientierung völlig unerwähnt. Das der EU vorgelegte Diskussionspapier sieht grundsätzlich internationale Garantien und auch eine „wirksame Sicherheitskomponente“, das heißt zumindest internationale Beobachter und personelle wie finanzielle Hilfen vor. Eingebettet wird der Prozess in eine internationale Konferenz, in deren Rahmen die Verhandlungen stattfinden sollen. Damit besteht die Chance, dass die internationale Gemeinschaft dauerhaft eine Verantwortung für den Prozess übernimmt und sich nicht wieder der Illusion hingibt, der Friedensprozess werde eine Eigendynamik entwickeln, die quasi automatisch zum endgültigen Friedensschluss führt.

Angesichts der bedrohlichen Eskalation ist der politische Handlungsdruck auf die internationalen Akteure gestiegen. Mit der Berücksichtigung der verschiedenen, jedoch isolierten Initiativen der letzten Monate erhöhen sich die Chancen auf Akzeptanz dieses Ansatzes. Die Zusammenbindung von USA, UN, EU und Russland als Garantiemächten folgt Ansätzen in der jüngsten Entschließung der UN. Allein dieses „Quartett“ könnte mehr als die Rolle eines ehrlichen Maklers spielen, die einzelnen Staaten nicht mehr zugetraut wird. CHRISTIAN STERZING