Verliebt in den Schnepfenvogel

■ Aufregung in der taz: Fernseh-Legende Heinz Sielmann (84) schaute vorbei – und keiner war da. Ein Interview gab es trotzdem, inklusive Ausflug in die Kindheit

Potzblitz, da steht er in der Tür und zückt eine Liste mit Presseterminen, die er heute bereits absolviert hat. Braungebrannt, buntbeschlipst und verdammt kregel anstatt greise. Ein echter Traum unserer Jugend, der Gute-Nacht-Geschichtenerzähler aus der Serengeti, dem Ural, dem Krüger-Nationalpark. Ihm verdanken wir die intime Kenntnis der australischen Waldmaus, des kirgisischen Schnep-fentapirs, ja sogar des siamesischen Hängebauchschweins. Dass der überhaupt noch lebt! Kurz vor Redaktionsschluss will Heinz Sielmann (84) umgehend von der taz in der Redaktion an der Schlachte vernommen werden. Nur: Die zuständigen tazler sind gerade zum Sielmann-Interview ins Überseemuseum gehuscht – schließlich ist ja dort der verabredete Treffpunkt. Ooops!

„Guten Tag, da steht ja eine Fernseh-Legende!“ – „Ja, so ist es“, erwidert Heinz wohlgelaunt.

Ortswechsel: Überseemuseum. Hier zeigt die Ausstellung „Nestwerk“ allerlei kunstvolle Brutstätten. Sielmanns Filmvortrag über Vögel ist der Höhepunkt des Rahmenprogramms. Sielmann kommt, trotz hastiger Taxifahrt immer noch gut gelaunt, zum Interview. Nach einem Schlückchen Kaffee ist der Fernseh-Onkel bereit für die nächs-ten Fragen. Glücklich plaudert er aus dem Nähkästchen. Der anwesenden Radioreporterin fällt nach drei sielmannschen Antworten beinahe das Mikro aus der Hand – vor Erschöpfung! Herr Sielmann antwortet ausführlich, sehr ausführlich. „Sie können ja schneiden, nicht wahr?“

Die Interview-Fragen scheren ihn wenig. Er sagt, was er sagen will. Ein Beispiel: „Herr Sielmann, ist Tierfilmerei heute nur noch Sensationsmache?“ Sielmann fackelt nicht lange, den vorgegebenen Pfad der Fragestellung zu verlassen – und erzählt von Zivilisationslandschaften. Ohne Atem zu schöpfen, kommt der nette Onkel mal auf ausgestorbene Wirbeltierarten, mal auf Konrad Lorenz, Gorillas und dann auf seine erste Kamera zu sprechen. Schließlich, nach satten viereinhalb Minuten: „Heute muss das Fernsehen über Ökologie und das Verhältnis Mensch-Tier-Landschaft berichten“. Danke, Heinz! Herr Sielmann ist keineswegs senil, doch von Journalis-tInnen lässt sich der altgediente Showman nicht vor den Karren spannen.

Um 20 Uhr ist es soweit. Im neuen Saal des Übersee-Museums warten rund 200 Gäste auf den weltberühmten Tierfilmer. Sielmann zeigt seinen eigens für die Ausstellung zusammengeschnittenen Film über Laubvögel und Thermometerhühner. Aber vorher noch ein paar Worte. Sielmann schreitet nach vorn: „Meine erste Kamera“. Schon wieder? Au weia ...

Kalte Winter in Ostpreußen, Muttis Unterstützung, die erste große Liebe zum Schnepfenvogel, der erste Film, die schönsten Erfolge.

Als Sielmann von Naturzerstörung und Artensterben erzählt, ballt er die Faust. Sein Engagement gilt heute der heimischen Flora und Fauna. „Naturschutzgebiete in Deutschland haben drei Probleme: Sie sind als ökologische Systeme zu klein, sie sind nicht miteinander verbunden, und sie bieten nicht genug Schutz.“ Park- und Zeltplätze in Wäldern, High-Life mit Musik aus der Konserve, so darf es laut Onkel Sielmann nicht weitergehen. Städter dürften allerdings trotzdem in die Natur, in „spezielle Erholungslandschaften“. Denn: „Nur was wir kennen und lieben, können wir schützen“.

Dann heißt es (schließlich): Film ab. Schon der Titel „Expeditionen ins Reich der Gefiederten“ mag manchen Zuschauer rühren. Erste Szene: Sielmann im Laubwerk. So arbeitet ein richtiger Naturfilmer: wie ein Indianer. Ton läuft: „Schon in meiner Jugend liebte ich die Schnepfenvögel.“ Ähem, wussten wir schon. Egal, allein die Sielmannsche Metaphorik weckt Erinnerungen an Familien-Fernsehabende und lässt über jegliche Wiederholungen hinwegsehen. 30 Jahre Expeditionen ins Tierreich. Selbst Twens können mitreden, von 1960 bis 1991 lief Sielmanns kultige Show. Und heute, hier im Übersee-Museum, heißt ein Storch wieder „Freund Adebar“ und Galapagos „die Arche Noah im Ozean“. Und wenn Heinz Sielmann dann noch einen naturzahmen Galapagos-Bussard auf dem Arm trägt und mit ihm zwitschert, dann könnte man wirklich vor Rührung ein bisschen weinen. Antonia Götsch