Nachhaltiger Schaden

■ Anschauungsmaterial zur Geschichte des westlichen Rassismus: D. W. Griffith' „The Birth of a Nation“ im Metropolis

Kaum ein Stummfilm hat in der Kinogeschichte je eine solch notorische Bekanntheit und zweifelhafte Bedeutung erlangt wie D. W. Griffith' 1915 uraufgeführter The Birth of a Nation. Einen derartigen Film hatte es zuvor nicht gegeben: Bis zu Griffith' Epos waren Filme billig zusammengeschusterte, statische Zwei- oder Dreiakter gewesen, die kaum länger als eine Viertelstunde dauerten.

Griffith dagegen probte sechs Wochen mit seinen Schauspielern, bevor er sich an die Dreharbeiten machte. Über hunderttausend Dollar kostete der Film damals und dauerte in seinen verschiedenen Schnitt-Fassungen über drei Stunden. The Birth of a Nation veränderte die Ästhetik des amerikanischen Kinos nachhaltig: Griffith führte Techniken wie Close-Up, Parallelmontage und verschiedene grafische Blenden ein, die dem Film trotz seiner Länge ein ganz neues Tempo gaben. Als der Film im Weißen Haus dem amerikanischen Präsidenten Wilson vorgeführt wurde, soll der gerufen haben: „It's like writing history with lightning!“

Die Aktivisten der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) sahen das nicht so. Bereits einen Monat vor der New Yorker Premiere hatte die Bürgerrechtsorganisation Proteste angekündigt. Bei der Uraufführung flogen Eier auf die Leinwand; Demonstranten versammelten sich. Solche Szenen wiederholten sich bei Wiederaufführungen des Films in den 20er Jahren; ein Tonfilmremake von Griffith' sexualisiertem Aufruf zum Rassenhass konnte verhindert werden.

The Birth of a Nation basierte auf Thomas Dixons tendenziösem Propaganda-Roman The Clansman und erzählte anhand einer Baumwollpflanzer-Dynastie die Geschichte der Südstaaten, des Bürgerkriegs und der Reconstruction-Phase aus der Perspektive des Ku-Klux Klan: als Geschichte des Niedergangs einer „paradiesischen“ Rassenordnung, die durch die Befreiung der Sklaven verletzt wurde – und nur dadurch wiederhergestellt werden kann, dass die African-Americans auf „ihren Platz“ verwiesen werden. Griffith konnte dabei auf zwei uramerikanische Traditionen zurückgreifen: die komische der Minstrel-Shows und ihrer Blackface-Darstellungen – und die des Kastrierens und Lynchens schwarzer Männer. Kaum ein anderer Film hat einen derartigen Schaden hinterlassen; und kaum ein Film liefert so detailliertes Anschaungsmaterial zur Unhintergehbarkeit der Identität von „Kultur“ und Barbarei in der Geschichte des westlichen Rassismus. Tobias Nagl

heute, 17 Uhr, Metropolis