Die Religionspolizei in der Kritik

In Saudi-Arabien wird Sittenwächtern vorgeworfen, für den Tod von fünfzehn Mädchen bei der Flucht aus ihrer brennenden Schule verantwortlich zu sein. Das löst eine öffentliche Debatte aus. Die Behörde für Mädchenschulen wird aufgelöst

aus Dschidda REEM YESSIN

„Möge Gott Sie und Ihre Familie dafür büßen lassen, für meinen Schmerz und den Schmerz anderer Eltern.“ Mit diesen Worten empfing die Mutter von zwei Töchtern, die Anfang März bei einem Feuer in ihrer Schule ums Leben kamen, den ehemaligen Gouverneur von Mekka, Prinz Madschid Bin Abdul Aziz, als er ihr einen Beildeisbesuch abstattete. Während des Brandes wurden ihre Töchter mit dreizehn anderen 14- bis 15-jährigen Mädchen zu Tode getrampelt, als sie versuchten aus der Schule zu fliehen. Laut Augenzeugen kam es dazu, weil die Religionspolizei die Mädchen daran hinderte, das Schulgelände zu verlassen, weil sie nicht den hier üblichen schwarzen Umhang trugen. 52 Mädchen wurden verletzt.

Letzten Sonntag fiel das Urteil: Thronfolger Prinz Abdullah schickte den Präsidenten der Behörde für Mädchenschulen in den vorzeitigen Ruhestand und löste die Behörde auf.

In Saudi Arabien ist die Religionspolizei, offiziell die „Gesellschaft zur Förderung des Guten und der Bekämpfung des Bösen“ genannt, dafür zuständig, Ordnung nach islamischem Recht zu bewahren. Ihrer Mitglieder, „Muttawas“, kommen vorwiegend aus einfachen Verhältnissen und sind selten gebildet. Es gibt sogar einige, die sich ihre Qualifikation im Gefängnis erarbeitet haben, denn wer den Koran auswendig lernt, muss nur die Hälfte der Haftzeit absitzen. Dann dürfen sie in Läden oder Einkaufzentren Frauen dazu anhalten, sich keusch zu kleiden, und Ladenbesitzer bestrafen, wenn sie das Geschäft nicht während der Gebetszeiten schließen – manchmal mit Geschrei, oft auf andere unfreundliche Art. Dieses Jahr machten sie sogar am Valentinstag eine Razzia im feinsten Restaurant der Hauptstadt Riad und unverheiratete Paare mussten mit auf die Wache. Allerdings müssen die Muttawas in solchen Fällen von regulären Polizisten begleitet werden, denn sie haben kein Recht, jemand festzunehmen. Andererseits gab es auch den Fall, wo sich Britinnen in der Ostprovinz bei ihrem Konsulat beklagten, dass nicht genug Muttawas in den Einkaufzentren aufpassten, um sie vor aufdringlichen jungen Männern zu schützen.

Die Muttawas sind ein Ärgernis, mit dem man sich normalerweise abfindet, und über die man sich meistens lustig macht. Es ist lange nicht mehr passiert, dass durch ihre Aktivitäten Menschenleben in Gefahr kamen. Das machte den Vorfall in Mekka so schockierend. „Dies geht entschieden zu weit“ schrieb der Chefredakteur von Okaz, einer angesehenen Tageszeitung aus Dschidda. Arab News, eine englischsprachige Zeitung, schrieb: „Köpfe müssen rollen“.

Zum ersten Mal konnte die öffentliche Meinung ihrer Wut freien Lauf lassen. „Dies war eine einmalige Gelegenheit, die Menschen zu beschwichtigen,“ meinte Huda Mubarak, Beamtin in der Behörde für Mädchenschulen, „um die Menschen von ihren wirklichen, alltäglichen Probleme abzulenken.“ Die Zukunft des Landes verspricht wenig Hoffnung: hohe Arbeitslosigkeit mit einer zunehmend jungen Bevölkerung (60 Prozent sind unter 17 Jahre), einem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von $ 7.000, niedrigen Ölpreisen, einem Haushaltdefizit von $ 430 Milliarden, und weitverbreiteter Korruption. Andere denken jedoch, dass die Affäre ein Schritt in Richtung Liberalisierung der Frauen sein könnte. „Unsere Behörde ist ein Teil des allgemeinen Bildungsministeriums geworden; jetzt sind wir nicht mehr abgespalten mit besonderen Regeln, ein gewagter Schritt von Prinz Abdullah,“ sagt eine Mitarbeiterin.

Als die Behörde für Mädchenschulen vor rund 40 Jahren entstand, sah die Regierung deren Notwendigkeit darin, dass Frauen eine besondere Betreuung brauchten. Obwohl Frauen in Saudi-Arabien zunehmend mehr Respekt und gesellschaftliche Bedeutung gewinnen, bleibt ihre Rollen begrenzt. Viele Stimmen erhoben sich und verlangten, das der Vizeminister für Mädchenschulbildung eine Frau seien sollte. „Davon sind wir noch Jahrzehnte entfernt; aber immerhin ist der neue Vizeminister ein Liberaler aus der Ostprovinz. Auch nicht schlecht,“ meint Zeid Ahmad vom Elektrizitätsministerium.

Bisher wurde noch nicht entschieden, was mit den Religionspolizisten geschehen wird, die das Unglück ausgelöst hatten. Der Innenminister behauptete, dass die Männer, die vor der Schule standen, keine „offiziellen“ Muttawas gewesen seien, sondern religiöse Eiferer. Das wird zwar von Augenzeugen bezweifelt. Doch immerhin wurde jemand bestraft und der Vorfall wurde nicht unter den Teppich gekehrt.