Im Schatten der Zuckerdose

Versuch und Irrtum: Bei Susheela Raman gehen südindische Tradition und Wille zum Pop eine innige Verbindung ein

Sam und Susheela sind furchtbar bescheidene und dezente Menschen. So bescheiden und dezent, dass ihre Hände beim Wunsch, einander zu halten, sogar den Blickschutz jener Zuckerdose suchen, die zusammen mit dem dünnem Kaffee auf den Tisch gestellt wurde: Bloß nicht die professionelle Routine eines Interviews stören, mit dem die beiden ihr Album „Salt Rain“ vorstellen, das zwar als Soloalbum von Susheela Raman firmiert, aber ohne den Gitarristen und Produzenten Sam Mills nie entstanden wäre.

Doch der ist natürlich zu nett und zu bescheiden, um seine eigene Rolle innerhalb des dreijährigen Entstehungsprozesses dieser Platte zu sehr in den Vordergrund zu rücken. „Als ich Susheela 1997 in London traf, war ich wirklich erleichtert“, sagt Mills. „Denn bis zu dieser Zeit hatte ich mit meiner Band 23 Skidoo kunstvollen Ethno-Avantgarde-Kram gemacht oder sehr viel Zeit mit der Frage verbracht, wie man die Baul-Musik des aus Bengalen stammenden Paban Das Baul in einen modernen Kontext bringen könnte.“

Dass er mit 23 Skidoo in den 80er-Jahren oft in den britischen Charts war, lässt Mills dabei genauso unerwähnt wie die Tatsache, dass „Real Sugar“, seine Platte mit Paban Das Baul, zu den gelungensten Versuchen gehört, die traditionelle Musik Indiens mit der Popmoderne zu versöhnen. Das Prahlen mit Erfolgen aber läge dem schüchternen Mann nicht nur fern, es würde auch die Pointe zerstören, mit der der promovierte Sufi-Experte seinen Gesprächseinwurf abschließen möchte: „Nach all dem Kunstkram dachte ich: „Großartig! Die Frau will einfach nur Popmusik machen!“

Genau das wollte Susheela Raman auch, als sie 1997 nach London zurückkehrte – die Stadt, in der sie 1973 als Kind südindischer Einwanderer geboren wurde. Ihre Kindheit und Teenietage hatte Susheela hingegen in Australien verbracht, wo sie von ihrer Mutter mit Disziplin und Begeisterung an die klassische Musik Südindiens herangeführt wurde. „Aber ich war ja auch ein ganz normaler Teenie, und als solcher liebte ich Duran Duran und spielte in einer Funkrockband“, ergänzt Susheela Raman. Von der indischen Musik wandte sie sich zwar nicht ab, doch die beiden Welten existierten für sie sauber getrennt nebeneinander: hier der linear strukturierte Popsong, zwischen pubertärer Ekstase und Introspektion, dort die zirkulare Struktur der indischen Kunstmusik, stets auf der Suche nach interpretatorischer Verfeinerung. Aus beidem besteht Susheela Ramans musikalische Mitgift, als sie nach London zurückkehrt, so wie ihre geografische Heimat zwischen London, Indien und Australien liegt.

„Dennoch fühlte ich mich nicht fremd in England“, sagt sie über diese Rückkehr. „Es gab sogar überraschend viele Dinge, die mir ein Gefühl von Heimat gaben. In London hörte ich Musiker wie Talvin Singh oder Nitin Sawhney, und das inspirierte mich sehr. Auch die Arbeit des Real-World-Labels, vor allem deren Produktionen mit Nusrat Fateh Ali Khan haben mich beeinflusst, weil ich dort Künstler entdeckte, die sich auf ihre indischen Roots bezogen und zugleich den Sound einer englischen Metropole abbildeten.“

Als Sängerin des Dancefloor-Projekts Joi trägt sich Susheela Raman zwar in die Annalen des Asian Underground ein, doch arbeitet sie parallel dazu schon mit Sam Mills an ihrem Soloalbum.

„Der Kompositionsprozess ähnelte einem trial-and-error-Spiel. Als wir anfingen, schrieben wir Popsongs auf Englisch. Danach haben wir englische Popsongs mit Sanskrit-Gesang ausprobiert. Die wirkliche Richtung wurde für uns aber erst klar, als wir an den südindischen Kompositionen arbeiteten“, erklärt Sam.

Wie Pop-Songwriter näherten sich die beiden klassischen Kompositionen aus dem 18. Jahrhundert und reduzieren die Arrangements, bis sie mit Akustikgitarre, Tablas und Gesang zu spielen waren. Götteranbetungen auf Sanskrit stellt Susheela englische Texte zur Seite, die sich kritisch mit der passiven und devoten Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft auseinander setzen, und als kleine Pointe platzierten sie das Lied der Schlange Kaa aus dem Disney-Soundtrack zum „Dschungelbuch“ auf der Platte. Mit „Salt Rain“ ist Susheela Raman und Sam Mills eine musikalische Fusion gelungen, an der auch Musiker aus Kamerun, Frankreich, Griechenland oder Ägypten beteiligt sein konnten, ohne dass sich die Substanz in der bloßen Euphorie über das Miteinanderarbeiten verflüchtigen würde. Mindestens so wichtig für „Salt Rain“ aber ist auch jene spezifische Innigkeit, die sich schwer beschreiben lässt und die sich doch sofort erschließt, wenn man Sam und Susheela dabei zuzuschauen darf, wie ihre Hände einander im Schatten einer Zuckerdose letztlich doch noch finden.

BJÖRN DÖRING