Der wahrscheinlich umständlichste Buchtitel der Welt

■ Herausragende Leerstellen: Der junge Schweizer Autor Michael Stauffer liest heute Abend im Jungen Theater. Ein Buch mit 102 Fußnoten und dem Anspruch zum ersten Mal vorbildlich zu erzählen

Marketingstrategisch gar nicht mal so dumm. Denn hat sich einmal herumgesprochen, dass es dieses Buch gibt und wie toll es ist, brauchen die Menschen nur noch in den Buchladen ihres Vertrauens zu rennen und zu sagen: „Ich will das Buch mit der Fußnote kaufen!“ Um sogleich, landaus, landab, ein „Bitte sehr! Bitte gleich!“ von fröhlich lächelnden Büchhändlerinnen und Auszubildenden zu hören. Und mit einem ebenso beherzten wie präzisen Griff ins Regal ein Exemplar von Michael Stauffers Debüterzählung („I promise when the sun comes up I promise I'll be true (1) So singt Tom Waits. Ich will auch Sänger werden“) auf dem blank geputzten Ladentisch präsentiert zu bekommen.

Doch soweit sind wir noch nicht. Leider! Um es gleich zu Beginn zu gestehen: Der Rezensent ist in dieser Sache befangen. Seiner Meinung nach hätte dieses schmale Bändchen mindestens zum „Buch des Jahres“ gewählt werden müssen. Ach was: Inkorporiert ins Weltkulturerbe gehört es.

Worin das begründet liegt? Wo doch eigentlich Vorsicht geboten sein sollte, bei einem der als zeitnahes Skribentenziel angibt, er wolle hier zum ersten Mal eine Geschichte „vollständig darbieten“, sie „vorbildlich erzählen“ und das noch „ohne zögern“. Der – in diesem Fall heißt er Michael Stauffer, ist 1972 in Winterthur geboren und derzeit in Stuttgart beheimatet – ist doch nicht ganz bei Trost, mag man denken.

Und man hat Recht, zumindest in dem Sinne, dass der komplizierte Titel „I promise when the sun comes up I promise, I'll be true So singt Tom Waits. Ich will auch Sänger werden“ wenig Trost spendendes in sich birgt. Und sich nicht nur darob erfreulich abhebt von der Eierschaukelei derer von und zu.

Mag sein, dies hängt mit der berlinfernen und somit für den deutschsprachigen Bereich eher peripheren Schreibposition zusammen. Vielleicht – und das wäre die angenehmere Variante – hat Stauff-er Stoff und Wort einfach nur besser im Griff. Auch hier wird gemotzt, werden Gewalt- und Unfreundlichkeitsfantasien ausgebreitet. „Die Niedergeschlagenheit der Menschen fasziniert mich. Es gibt eine Region in meinem Gesicht, wo es auch bei mir deutlich abzulesen ist.“ Trotzdem, nirgends wird's weinerlich und über die Textoberfläche, die den Monolog einer KUNSTFIGUR darstellt, hinaus selbstgerecht. Gepolter und Ungerechtigkeit gegenüber Mensch und Tier hält Stauffer eher formal denn inhaltlich in Schach. Durch die präzise Stimmführung, das oftmalige Unterbrechen der Denk-Handlung durch Kapitelchen. Und, nicht zuletzt, durch die zahlreichen Fußnoten. Einhundertzwei an der Zahl.

„Die schlimmen Tage beginnen am Morgen.“ Derlei Gewissheiten im Gepäck schickt Stauffer seinen „Helden“ in Tage und Nächte, Städte und Naherholungsgebiete. So banal das ist, was ihm dort widerfährt, so grotesk ist es auch. Manchmal sogar schön. Den gemäßigten Vertretern des kulturellen Exotismus sei noch verraten, dass der junge Schweizer Stauffer stilecht mit ausgeprägtem Schweizer Akzent liest. Wenn das kein Grund ist, diesem atemberaubenden Text zu lauschen?!

Tim Schomacker

Michael Stauffer liest in der Reihe „Hör zu!“ heute Abend ab 20 Uhr im Jungen Theater, Güterbahnhof, Tor 48.