Die Fernseh-Vorteile eines Südost-Balkons

Was lesen und gucken eigentlich die 93.000 Vietnamesen und Vietnamesinnen in Deutschland? Über die zwiespältigen vietnamesischen Medien

Sie sind an keinem Berliner Zeitungskiosk zu haben, und doch kommen sie jeden Dienstag druckfrisch per Flugzeug aus Vietnam: Zeitungen für die rund 93.000 in Deutschland lebenden Vietnamesen. Sie heißen Cong An Nhan Dan (Volkspolizei) und An Ninh Quoc Te (Die internationale Sicherheit), und werden vom Innenministerium oder vom Verteidigungsministerium in Hanoi herausgegeben.

Die Zeitungen mit den interessanten Namen informieren über große Korruptionsskandale in Vietnam, über Gewaltverbrechen, Gerichtsverfahren, aber auch über den Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Daneben stehen nett illustrierte Sportberichte, Reportagen über Musikgruppen, Karaokebars in Hanoi oder mit didaktischem Zeigefinger geschriebene Berichte über Aidsverbreitung und eheliche Treue. So versuchen die Wochenzeitungen den Spagat zwischen sozialistischer Propaganda und Boulevardjournalismus.

Beziehen kann man die Blätter in den asiatischen Großhandelszentren der großen Städten im Osten Deutschlands sowie bundesweit in Asia-Läden – man würde nicht extra dorthin fahren, aber wer hier ohnehin einkauft, nimmt zuweilen eine Zeitung mit. An großen Verkaufsstellen liegen auch bunte Blätter aus, vor allem zu den Themen Mode und Sport. Die sind vor allem für Vietnamesen interessant, die erst seit wenigen Monaten oder Jahren hier leben und sich kulturell an ihrem Herkunftsland orientieren. Tageszeitungen, anspruchsvolle Blätter mit Hintergrundberichten, die zum Teil auf Englisch herausgegeben werden, rechnen sich für die Händler in Deutschland nicht. Wer so etwas lesen will, informiert sich preiswerter im Internet.

Einen Euro bis einsfünfzig muss man hinlegen für eine Wochenzeitung, Illustrierte kosten noch mehr. Und das, obwohl die Druckerzeugnisse in Vietnam umgerechnet nur zwischen zwei und 20 Cent gehandelt werden – das Teure sind die Kosten für Transport und Flughafentransfer. Neben den „Heimatblättern“ werden auch in Deutschland vietnamesischsprachige Druckerzeugnisse herausgegeben, etwa von Vereinen und Kirchengemeinden. Diese Gazetten haben einen sehr geringen Verbreitungsgrad, erscheinen in der Regel nur alle paar Monate und sind nicht immer professionell gemacht. Die stärkste überregionale Verbreitung hat dabei das Mitteilungsblatt der vietnamesischen Botschaft in Berlin: Neben einer Presseschau aus Vietnam bietet es monatlich Berichte über die deutsch-vietnamesischen Beziehungen, über Mafiaprozesse oder neue aufenthaltsrechtliche Regelungen.

Seit Jahresbeginn kann man in Deutschland zudem auch das vietnamesische Fernsehprogramm ohne Adapter empfangen, allerdings benötigt man eine Satelitenschüssel. Glücklich schätzt sich jetzt, wessen Balkon nach Südost zeigt: Das spart die teure und aufwändige Montage der Anlage auf dem Dach. Ein Umzug in eine begehrte Südostwohnung ist darum unter Berliner Vietnamesen zur Zeit ein viel diskutiertes Thema. Wegen der Zeitverschiebung ist das vietnamesische Programm allerdings nicht in den deutschen Abendstunden zu sehen. Doch viele Vietnamesen arbeiten als Händler ohnehin in der zweiten Tageshälfte und haben eher vormittags Zeit zum Fernsehen.

Neben langatmigen, anderthalbstündige Nachrichtensendungen gibt es Musikprogramme, weltweite Sportübertragungen, Reportagen über gesunde Lebensweise und vor allem – viel Werbung. Filme werden selten ausgestrahlt, weil die staatlichen Sender die hohen Kosten nicht aufbringen können.

Heiß begehrt unter den Vietnamesen in Deutschland sind Musikvideos, die in Asia-Läden überall zu kaufen sind. In der Regel werden solche Clips von Exil-Vietnamesen in den USA im Stil von Home-Karaoke-Veranstaltungen produziert. Diese Kassetten tragen nicht nur zur abendlichen Familienunterhaltung bei, sie umrahmen auch Partys und geselliges Beisammensein.

Fernsehen und Zeitungen aus Vietnam interessieren vor allem die im Osten Deutschlands lebenden ehemaligen Vertragsarbeiter sowie neu eingereiste Flüchtlinge. Anders die Boatpeople, die Vietnam in den 70er und 80er Jahren wegen der politischen Verhältnisse oder ethnischer Unterdrückung verlassen haben: Die misstrauen erstens der staatlichen vietnamesischen Propaganda und sind zudem besser in Deutschland integriert, so dass sie sich auch durch die deutschen Medien informieren.

MARINA MAI