Beziehungsclinch auf der Friedenstour

Liebe und Fremdsein: Peter Hellings Diplominszenierung „Die Morde der jüdischen Prinzessin“  ■ Von Karin Liebe

„Claudia, du musst nach Barmbek fahren“, ertönt es aus dem Lautsprecher am U-Bahnhof Borgweg. Wer ist Claudia? Was soll sie in Barmbek? Wer ruft sie? Und vor allem: Gehört die Durchsage irgendwie noch zum eben gesehenen Theaterstück auf Kampnagel? Wohl kaum.

Trotzdem schwingt auf dem Bahnsteig noch etwas von Peter Hellings Diplominszenierung Die Morde der jüdischen Prinzessin mit. Denn auch das Stück des spanischen Dramatikers Armando Llamos erzählt vom Warten und Verreisen und Ankommen. Nicht auf einem kleinen Hamburger U-Bahnhof, sondern in irgendeiner Wartehalle eines internationalen Flughafens. Den Anfang macht Abu Dhabi. Acht Menschen starren auf die rasselnde Fluganzeige, gehen auseinander und bilden kleine, wechselnde Grüppchen. Da ist das lesbische Paar, das sich streitet und trennt. Da ist der von seinem Liebhaber verlassene Mann, der nach Pakistan fliegt, um seinen Ex zu vergessen. Und da sind drei gute Freundinnen, die später in einem Londoner Hotelzimmer Horrorfilme gucken und sich mit fiktiven Messern aufschlitzen und die Gedärme herausholen.

Alle sind immer irgendwie unterwegs und meist unglücklich. Schneller Sex in der Flughafentoilette, dann geht es weiter, nach Budapest oder Hiroshima oder zurück nach Paris. Die Morde der jüdischen Prinzessin ist eine Parabel über die Rast- und Wurzellosigkeit des modernen Menschen. Peter Helling setzt diese Unruhe optisch geschickt um: In kurzen Szenenfolgen mit wechselnden Personenkonstellationen begegnen sich die Schauspieler im fast leeren Raum zwischen Plastikstühlen, einer Bar und einem Paravent.

Erst allmählich schälen sich bei den Mehrfachrollen wiederkehrende Personen heraus: Roger hat von seiner Geliebten eine Reise nach Japan geschenkt bekommen, einen Trip durch im Zweiten Weltkrieg zerstörte Städte. Doch die „Friedenstour“ wird zum Beziehungs-clinch: Barbara redet ohne Punkt und Komma über ihren gewalttätigen Ex, Roger versucht die hypernervöse „Unglückssüchtige“ zu beschwichtigen – und schlägt ihr dann selbst unvermittelt ins Gesicht.

Das ist beklemmend gut gespielt und zeigt: Helling hat sein spielfreudiges En-semble gut im Griff. Manche Szenen stimmen allerdings vom Timing her nicht so richtig: Entweder sind sie zu stark ausgespielt wie das immer wieder sich opernhaft zu Tode metzelnde Frauentrio, oder Dialoge sind dermaßen knapp angerissen, dass man sie erst beim Nachlesen versteht. Das seltsame, sich extrem verklemmt bewegende Paar – sie ruckend schreckhaft wie ein Huhn, er steif wie ein Internatszögling – soll Rucksacktouristen ermordet haben, aha. Auch dass sich alle Reisenden sechs Jahre später am Ausgangsort treffen, erschließt sich nicht beim Sehen des Stücks. Und dass einer „sich infiziert hat“, woran bitte soll man das erkennen?

Trotz dieser Ungereimtheiten ist die Inszenierung über weite Stre-cken packend. Die Liebe in all ihren tragischen Facetten wird hier ausgebreitet: ob lesbisch, schwul oder hetero, ob Ausdruck von Gewalt und Macht, von Betrug und Verlassenwerden. Und das Fremd-sein wird pointiert charakterisiert: Da begegnet die betrogene französische Ehefrau auf einem Pariser Spielplatz einer Pakistanerin, die ihren patriarchalischen Mann in der Heimat zurückgelassen hat. Die vor Vorurteilen strotzende Pariserin glaubt, die Fremde sei Muslimin und ihrer Klitoris beraubt. Als die Gemeinte entgegnet, sie sei eine Hindu, weiß die andere auch gleich wieder Bescheid: Das sind doch die, die ihre Witwen verbrennen. Dabei ist sie die eigentlich Unglückliche: Sex ist für sie ein lästiges Ritual, ihr Mann Roger guckt am liebsten Pornos und geht ständig fremd.

Warum das Stück allerdings Die Morde der jüdischen Prinzessin heißt, versteht auch der männerliebende Rauol nicht. Es könnte genauso gut „Die Männer von Hamburg“ heißen, meint er, die seien ja recht gut gebaut. „Claudia, du musst nach Barmbek fahren“ wäre auch kein schlechter Titel.