Stimmen von unten

Parallel zum Gipfel der Arabischen Liga treffen sich arabische Nichtregierungsorganisationen

aus Beirut CHRISTINA FÖRCH

Seit Wochen bereitete sich Beirut auf das Treffen der Arabischen Liga vor. Spezialeinheiten der libanesischen Armee trainierten in den Stadtteilen, in welchen die arabischen Politiker tagen werden. Helikopterpiloten übten das Landen und Abheben auf den Dächern der Hochhäuser, in denen sich die Konferenzräume befinden. Überall sind Soldaten postiert und die Hauptstraßen wurden gesperrt. Die Sicherheitsbestimmungen nehmen zum Teil groteske Züge an: Sechzig Familien, deren Häuser sich in der „roten Zone“ befinden, werden genötigt, am Mittwoch und Donnerstag zu Hause zu bleiben oder Unterkunft in einem Hotel zu nehmen. Der Flughafen wird für die zwei Tage des Gipfels für den normalen Flugverkehr geschlossen. Schüler und Universitätsstudenten bekamen unverhofft Ferien – angeblich, um den Verkehr in der Stadt zu entlasten, wie ein Regierungssprecher sagte. „Doch sicherlich auch aus dem Grund, damit wir keine Demonstrationen organisieren“, meint der Chemiestudent Kanj Hamade.

Die Partizipation der Bevölkerung am politischen Entscheidungsprozess ist in der arabischen Welt nicht gerade sehr verbreitet. Es ist nicht üblich, dass Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bei offiziellen internationalen Zusammenkünften Beraterfunktionen übernehmen, wie es inzwischen im Westen bei jedem UN-Gipfel erfolgt.

Die arabischen Politiker wollen auch diesmal wieder unter sich bleiben – doch das Netzwerk der arabischen Nichtregierungsorganisationen für Entwicklung ANND will dem einen Strich durch die Rechnung machen: In einer zweitägigen Konferenz, an der Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus verschiedenen arabischen Ländern teilnehmen, wollen die Basisdemokraten versuchen, die Entscheidungen ihrer offiziellen Repräsentanten zu beeinflussen, oder sich zumindest bemerkbar machen: „Wir wollen der arabischen Bevölkerung eine Stimme geben“, hofft Ziad Abdel Samar, Vorsitzender des NGO-Netzwerks im Libanon. „Dies ist ein erster Schritt in Richtung Demokratisierung.“

Von nun an soll es parallel zu jedem Gipfel der Arabischen Liga ein Treffen der „Zivilgesellschaft“ geben. „Wir werden von nun an viel Lobbyarbeit betreiben und versuchen, die arabischen Politiker zu beeinflussen“, berichtet Abdel Samar.

Auch sein palästinensischer Kollege Izzaf Abdel Hadi hofft darauf, dass in Zukunft die NGOs eine beratende Funktion einnehmen können. Denn ohne interne Demokratisierung werde es keine Lösung des Nahost-Konflikts geben: „Bisher haben wir uns zu sehr auf die Befreiung von der israelischen Besatzung beschränkt. Doch der Widerstand ist mit Wirtschaftsentwicklung, der Lösung sozialer Probleme und der Demokratisierung Palästinas eng verbunden“, meint er. Die gewaltsame Intifada werde weitergehen, wenn es in all diesen Bereichen zu keinen dauerhaften Lösungen käme.

Vom arabischen Gipfel, der im Vorfeld von libanesischen Politikern schon als „historischer Durchbruch“ einer „neuen arabischen Einheit“ gewertet wurde, erwarte er gar nichts. „Die arabischen Politiker werden keine Entscheidungen treffen, die sich substanziell von den vorhergehenden Erklärungen unterscheiden“, mutmaßt Abdel Hadi. „Sie haben keine Visionen, sind nicht realitätsnah, haben keine Verbindung zur Basis, und außerdem sind sie heillos zerstritten.“

Die Situation in Israel und den Autonomiegebieten ist das brennendste Thema des Gipfels, doch auch ein möglicher Militärschlag der USA im Irak steht ganz oben auf der Agenda. „Die Arabische Liga wird einen Militärschlag nicht verhindern können“, meint der Iraker Mehdi al-Hafez vom Arabischen Institut für Wirtschaftsforschung. „Sie wird jede militärische Aktion verurteilen, aber praktisch ausrichten kann die Liga nichts.“

Der Wirtschaftswissenschaftler, welcher auch am NGO-Treffen teilnimmt, lehrt nicht etwa an einem irakischen Forschungsinstitut, sondern im Libanon: „Im Irak gibt es keine unabhängigen Institutionen, keine freie Presse, keine Demokratie. Aber auf militärische Weise werden die USA den Irak nicht demokratisieren.“ In der Beendung der Diktatur und der Schaffung demokratischer Strukturen liege die Lösung des Problems – doch davon sei der Irak weit entfernt, wie so viele andere arabische Länder, meint al-Hafez. „Genau daran arbeiten wir“, sagt der Libanese Abdel Samad. „Unser Parallel-Gipfel ist ein Start für mehr Demokratie in der arabischen Welt.“ Und vielleicht liegt in der Demokratisierung auch der Schlüssel zur Lösung des Nahost-Konflikts.