: Roaring Inflations-Retro

Heute: der Lichtbild-Preiszyklus

Der Euro-Beschiss ist hier jetzt schon derart durchgeschlagen – 1 DM ist beinahe 1 Euro im Konsum, im Verdienst jedoch wie abgesprochen nur die Hälfte –, dass allseits Einschränkungen angesagt sind. Viele Einkaufsparadiese signalisieren bereits Insolvenzängste, und der Handykartenverkauf hat die südamerikanischen Rosen in den Kneipen abgelöst.

Ob wir uns auf denselben ins Unwirkliche schwankenden Wolfspfaden zubewegen wie weiland während der Inflationszeit, ist noch nicht ausgemacht. Damals konnte man nur noch mit Wechseln Geschäfte tätigen, die die Staatsbank am Ende der Handelskette einlösen musste – weswegen sie täglich neues Geld drucken lassen musste. Nur sonntags nicht, weil die Börsen da geschlossen hatten und kein neuer Dollarkurs rauskam (zuletzt zahlte man für 1 Dollar rund 1, 2 Billionen Mark). Auch jetzt wird der Dollar wieder täglich mehr zur Leitwährung – für den Euro. In vielen Bordellen der Stadt sind die Mädchen bereits mehr daran interessiert, Dollargeschäfte zu machen, als einen ausgegeben zu bekommen. Das ist ein währungspolitisches Alarmzeichen! Aber die weltfremden Staatsidioten reden statt von einer Tobinsteuer für Puffs von Arbeitsverträgen für Prostituierte! Bei der Gewerkschaft Ver.di wird bereits um ihre Mitgliedschaft gebuhlt: Das kann man jedoch auch begrüßen, denn was Solidarität und Radikalität betrifft, dürften sie allen anderen Branchen überlegen sein!

Ich wollte aber von Lichtbildern reden – von Frauendias. Die bekam man in den Achtzigern bei den Trödlern noch fast geschenkt, wobei die durchschnittliche Lebensleistung einer Familie bei 5.000 bis 10.000 Dias lag, die zumeist der Mann geknipst hatte, weswegen auch fast immer seine Ehefrau den Vordergrund ausfüllte. Ich habe das dann umgedreht, indem ich die Dias aus der Zeitlichkeit raus zu neuen Serien zusammenfasste, in denen der Hintergrund gleich ungültig wird. Der Obertitel dafür heißt nun „Frauen am Geländer“, weil dies die häufigste Pose ist, gefolgt von „Frauen mit Auto“, „Frauen, die Vögel füttern“, „Frauen mit Blumen“ und „Männer, die den Frauen was Neues zeigen“.

In den Neunzigern fing auch die Künstlerin Hilka Nordhausen an, Dias zu sammeln. Bald versauten wir uns gegenseitig die Preise. Viele Trödler verlangten von da an nicht mehr 100 DM für einen Waschkorb voller Dias in Kästen, sondern 1 DM pro Dia. Nachdem uns jedoch einige Witwen ihre Diasammlungen vermacht hatten, bekam ich es gottlob mit dem Gesetz der abnehmenden Ertragslage zu tun – und wechselte leichten Herzens zu DDR-Übersetzungen von russischen Büchern, die damals 30 Pfennig kosteten, dann 1 DM, daraufhin 1 Euro, jetzt 2.

Hilka Nordhausen ist zwischenzeitlich gestorben, dann kam die Währungsreform – und nun kosten die Diasammlungen sogar nur noch 15 Euro, wie ich erst gestern beim Trödler in der Zossener Straße feststellen konnte. Da musste ich natürlich zugreifen. Es handelte sich um die Dias eines DDR-Doktors, der auf Fußkrankheiten spezialisiert war, die er scheußlicherweise alle fotografierte: Was allein hunderte von Dias mit maroden Füßen ergab. Dazwischen reiste er mit seinen Söhnen entweder nach Moskau und Leningrad oder – in den Fünfzigerjahren – in den Süden der DDR. Regelmäßig mit von der Partie war dort ein Chinese, der ebenfalls alles fotografierte. Wahrscheinlich ein Fußarzt-Kollege. Die Dias von den kranken Füßen wurden übrigens für lichtbildgestützte Vorträge am Medizinischen Institut verwendet. So wie der Doktor in der DDR am liebsten Fachwerkhäuser knipste, besichtigte er in Russland orthodoxe Kirchen, aber auch die Exponate im Weltraum-Pavillon der Allunions-Ausstellung in Moskau fotografierte er oft und gerne. Nun ist er tot, aber seine Diasammlung deutet darauf hin, dass nach den DDR-Büchern nun auch noch jede Menge DDR-Dias beim Trödler landen.

Ich befürchte deswegen dreierlei: Erstens muss ich noch mal von vorne anfangen zu sammeln, weil die DDR-Spießerästhetik doch eine ganz andere war als die auf den BRD-Dias vorherrschende. Zweitens werden das auch andere so sehen und also ebenfalls wieder anfangen zu sammeln – und dann gehen drittens die Preise wieder hoch. Neulich bekam ich von einem Tagesspiegel-Redakteur jedoch noch ein letztes Mal eine Westberliner Sammlung – von seiner Tante – geschenkt, aber Dorothee Wenner, die sich mehr und mehr auf selbst gemachte Dias kapriziert hat, kam schon mit zwei Sammlungen von Ehepaaren an, die jedes Jahr nach Bulgarien fuhren. Es war schwer zu sagen, ob sie Ost- oder Westberliner waren. Ich vermute, dass sie aus dem Westen kamen und sich dort immer mit einem Ehepaar aus dem Osten trafen. Inzwischen gibt es auch schon einen schriftlichen Reisebericht von einem nach Bulgarien reisenden jungen russischen Sozialhilfeempfänger aus Berlin. Der Autor heißt Timur Litanischwili und sein Buch nennt sich „Beichte eines verrückten Emigranten“. Auch er pflegt einen „komödiantischen Katastrophismus“, wie Stephan Wackwitz den Stil der neuen Russen nennt. Das bestätigt ebenfalls meinen Eingangsverdacht. HELMUT HÖGE