Wien will durch die Hintertür in die Nato

Die Regierung will das Strafrecht ändern. Dann wäre Teilnahme an Out-of-area-Einsätzen der Nato möglich

WIEN taz ■ Das neutrale Österreich will durch die Hintertür in die Nato manövrieren. Das sei das Ziel der Bundesregierung von Kanzler Wolfgang Schüssel, mutmaßt der grüne Wehrexperte Peter Pilz unter Berufung auf namhafte Verfassungsrechtler.

Anlass für diese Befürchtung ist eine vergangene Woche von Justizminister Dieter Böhmdorfer vorgelegte Reform des Strafgesetzes. „Neutralitätsgefährdung“ heißt die Überschrift des Paragrafen 320 StGB aus dem Jahr 1975. Dieser Titel soll jetzt in „Verbotene Unterstützung von Parteien bewaffneter Konflikte“ abgeändert werden. Auch der Inhalt der Bestimmung, die die Verletzung der verfassungsrechtlich verankerten Neutralität mit Strafen von bis zu sechs Jahren bedroht, soll erheblich umgemodelt werden. An die Stelle der Gefährdung des Weltfriedens als Voraussetzung für die Teilnahme an einem UNO-Einsatz soll eine Formulierung treten, wie sie auch von der Nato für die Legitimierung der Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan verwendet wurde.

Pilz sprach von „kalter Aufhebung der Neutralität“ Österreichs: „Die schwarz-blaue Bundesregierung kann es nicht erwarten, bei den nächsten Nato-Kriegen mitzumachen.“ Der Abgeordnete sieht einen Zusammenhang zur umstrittenen Anschaffung von 24 neuen Abfangjägern. Diese dienten nicht der Verteidigung des österreichischen Luftraums, sondern der Teilnahme an Out-of-area-Einsätzen. Er fordert eine doppelte Volksabstimmung: für die Beibehaltung der Neutralität und gegen den Kauf von Abfangjägern.

ÖVP und FPÖ drängen schon lange in die Nato. Doch die Abschaffung der Neutralität, die in einem Verfassungsgesetz von 1955 verankert ist, bedarf der Zweidrittelmehrheit und daher der Zustimmung der SPÖ. Die Sozialdemokraten haben sich zwar unter den Kanzlern Franz Vranitzky und Viktor Klima ebenfalls an der Unterhöhlung der Neutralität beteiligt, doch Parteichef Alfred Gusenbauer denkt nicht daran, der Regierung den Gefallen zu tun, sich für ein unpopuläres Unterfangen einspannen zu lassen.

Umfragen ergeben um die 60 Prozent Zustimmung zur Beibehaltung der Neutralität. Neue Abfangjäger, die nebst Erhaltungs- und Folgekosten mit über 3 Milliarden Euro zu Buche schlagen, werden gar von 75 Prozent abgelehnt. Der neutrale Boden wurde vor allem von Bundeskanzler Bruno Kreisky (1970–1983) für eine echte Vermittlertätigkeit genutzt und die Rolle Österreichs international aufgewertet. Dies sei nicht mehr zeitgemäß, meint die Regierung. „Seit wir in der EU sind, können wir nicht mehr neutral sein“, verkündete Schüssel 2001. Ausgerechnet am Nationalfeiertag im Oktober verglich er die Neutralität mit „alten Schablonen“ wie Lipizzanern und Mozartkugeln. Zuletzt begründete er aber den geplanten Kauf neuer Abfangjäger mit der Notwendigkeit, die Neutralität zu verteidigen.

Für Schüssels Koalition ist die Sache brisant. Den Grünen ist es letzte Woche gelungen, die Rüstungsfrage zum innenpolitischen Thema Nummer eins zu machen. Mit einer Volksabstimmung wurde 1978 das Atomkraftwerk Zwentendorf zu Fall gebracht. Die teuren Jets sind noch weit unpopulärer. Daher steht die FPÖ nicht geschlossen hinter ihrem Verteidigungsminister Herbert Scheibner.

Egal, ob die Entscheidung für die schwedischen Gripen, die US-amerikanischen F-16 oder die europäischen Eurofighters fallen sollte – nicht nur die Opposition hält die Aufrüstung einer Luftwaffe in einem von Nato-Mitgliedern umgebenen Land für reine Geldverschwendung. Pilz hält das Gerede über die notwendige Wehrhaftigkeit für heuchlerisch. Er kennt Dokumente des Verteidigungsministeriums, wonach die Luftwaffe im Verteidigungsfall sofort kapitulieren würde. Pilz glaubt daher, dass mit der teuren Anschaffung andere Ziele verfolgt werden: „Abfangjäger braucht man in Österreich nur, um Vermittlungsgelder umzuleiten und Parteikassen zu füllen.“ RALF LEONHARD