70er Wohnzimmer-Sex

■ Ausschweifend, orgiastisch, zerstörerisch, daneben Landschafts-fragmente: Die Ausstellung „Janssen und die Frauen“ in Oldenburg

Irgendwann musste es ja kommen: „Janssen und die Frauen“, das zentrale Thema in Leben und Werk des Graphikers und Zeichners, dem Oldenburg sein ehrgeizigstes Museumsprojekt widmet. Den dreizehn Frauen, die Janssen begleitet haben – Stief-Mütter, Geliebte und Kinder – widmet sich also die aktuelle Ausstellung im Horst Janssen Museum in Kooperation mit der Hamburger Kunsthalle.

Die zentrale Frage der AustellungsmacherInnen ist, wie sich die Beziehungen im Werk spiegeln. Also wurde jeder Frau eine eigene Nische gewidmet, mit den Werken des Graphikers und Zeichners, die sich auf die jeweilige Herzensdame bezogen. Gesche Tietjens etwa, die Janssen 1968 kennen lernte, öffnete ihm die Landschaft. Janssen nannte sie also „Panne“, abgeleitet von Pan, dem Hirtengott. Gemeinsam erschlossen sie die Elbmarschen, Janssen schuf Landschaftsfragmente und erst wenige unmittelbar auf Gesche Tietjens bezogene Werke. Erst später sind die Frauen selbst nicht nur Inspirationsquelle, sondern auch Bildinhalt.

Um Birgit Jacobson wirbt er Anfang der Siebziger mit Leporellobriefen, die zeitgemäß aus Kopierverfahren, Readymades und Kollagen entstanden sind. Janssen scheut sich auch nicht, die Angebetete als Botticellis Primavera mit blumenumkränztem Kopf zu porträtieren. Will heißen: Nicht alles, was unter dem Oberthema „Janssen und die Frauen“ hier versammelt ist, hat wirklich hohen künstlerischen Wert.

Zu den wertvollen gehören aber auf jeden Fall die sehr frühen Arbeiten für Birgit Sandner, aus dem Nana-Zyklus (1959). Diese filigranen Radierungen lassen erotische Verschmelzung der Körper nur ahnen, sie werden zu einem eigenen, vegetativen Wesen. Das Ausschweifende, Orgiastische und auch Zerstörerische in Horst Janssens Gebaren ließ ihn in den siebziger Jahren vom Enfant Terrible zu Everybody's Darling, zum hippen Spektakel im Kunstbetrieb avancieren. Gerade die erotischen Sujets aus dieser Epoche – sie hieß Viola Rackow – gehörten zum guten Ton in verrauchten Wohnzimmern so genannter Intellektueller.

Janssen war in. Und die Frauen? Nebenwidersprüche, die sich jetzt zu Wort melden dürfen in der Oldenburger Ausstellung und dem begleitenden Katalog. Natürlich taten sie das auch schon, denn „diese entzückenden Wesen, die meinen Lebensstremel eingeteilt haben“ (Janssen) sind durchweg starke Persönlichkeiten.

Ihnen nähert sich – ganz abseits von Janssens stetig werbendem Zeichenstift – die Photographin Ingrid von Kruse (Hamburg). „Geliebte-Musen-Kinder“ ist der bezeichnende Titel ihrer eigenständig begleitenden Ausstellung in den drei Etagen des Horst Janssen Museums. Ihre Porträts von Gabriele Gutsche, Marie Knauer, Heidrun Bobeth, Verena Janssen und den sechs Frauen und Musen sowie ihrer insgesamt vier Kinder widersprechen dem landläufigen Bild von den Weiblein, die dem Monster Janssen in gegenseitiger Abhängigkeit verfallen waren.

Diese Frauen wirken stark, eigenwillig, auch verletzbar – und sie wurden verletzt, wie Anette Stumpf, die nach einem Nasenbeinbruch die Beziehung zu Horst Janssen abbrach. So viel erfahren wir im Katalogtext. Nein, noch mehr. Denn die Hannoveraner Psychologin Ingrid von Moirée darf hier versuchen, dem Urgrund der gewaltigen Extreme in Janssens Gebaren – vom liebevoll Buhlenden zum wütenden Schläger – zu ergründen. Ihre Diagnose: Janssen war ein Borderliner, das heißt, ein gesunder Kranker, immer auf der Grenzlinie zum psychotischen balancierend. Aber was sagt uns diese Diagnose über Janssens Kunst? Nichts.

Was sagt uns das über die tatsächlichen Verhältnisse seiner Verhältnisse? Auch nichts. Überhaupt ist das mit den psychologischen Deutungen in der Kunst so eine Sache und wohl nur da wirklich fruchtbar, wo die Kunst selbst solche Deutungen intendiert, etwa im Surrealismus. Und dass der Sexus als Urgrund gestaltenden Handelns stets präsent ist, wer wollte das bestreiten und warum sollte es noch mal mühselig belegt werden. Diese Arbeit erspart Janssen sowieso, denn er geht plakativ zur Sache. Da räkelt sich eine Frau auf einer Liege, an deren Brustwarzen verkabelte Klemmen befestigt sind, während ein Rüsseltier sich an ihrem Hosenbund zu schaffen macht und ein Vogelwesen sie küsst – eines der Siebzigerbilder, die sadistische Phantasien zur Zeit der „PorNo“-Kampagnen salonfähig machten und inzwischen, da SM die Kleinanzeigenrubriken sprengt, nur noch müdes Lächeln hervorrufen. Kunst kann sexuelle Phantasien sublimer zeigen, hie und da gelang das auch Horst Janssen.

Marijke Gerwin

bis zum 18. August 2002