Mit Malika auf der Handlinien-Straße ins Solarhaus

■ Endstation Shagall, alle aussteigen, die Ausgeher-Serie endet hier: Der Ausgeher findet endlich, was er gesucht hat und braucht deshalb künftig nicht mehr auszugehen / Blutleere Postmoderne Ade

Als ich neulich in einem Stadtmagazin las, dass im „Shagall“ jeden Donnerstag Dark Wave- und Gothic-Abend ist, wusste ich, was ich am folgenden Donnerstag zu tun hatte: Radieschen pflanzen. Und abends ins „Shagall“ gehen.

Der Türsteher klopfte mich ab, durchsuchte meine Taschen und fand zwei Päckchen Radieschensamen darin. „Die darfst du aber nicht mit reinnehmen, mein Freund“, sagte er mit ernster Miene. Ich zuckte mit den Achseln. Nachdem ich den Eintrittspreis entrichtet und im Gegenzug ein Plastikkärtchen zum Verzehr erhalten hatte (es schmeckte nicht besonders), mischte ich mich in den düsteren Kellergewölben unter die düsteren Freunde düsterer Musik.

Es lief gerade „Dark Star“ von Deine Lakaien. Ich bestellte mir ein Dunkelbier, setzte mich an ein Tischchen und betrachtete die Blase. Ich war nicht zum Vergnügen hier, sondern weil ich in der mystisch und schwer wirkenden Subkultur eine Tiefe vermutete, die man ansonsten in der dürren, monochromen und blutleeren postmodernen Flachlandwelt vergebens sucht. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass ein Lächeln einem Dark Waver umgehend den Vorwurf der Inauthentizität seitens seiner Kollegen einbringen würde. Aber keine Spur von existentialistischem Grauen, weder authentisch noch aufgesetzt: fast alle lächelten. Und sahen verdammt gut dabei aus. Sind Grufties per se hübschere Menschen oder liegt das an dem sorgfältigen Styling? überlegte ich.

Während ich so nachsann, bemerkte ich, wie eine ausgesucht hübsche junge Dame sich zielstrebig meinem Tischchen näherte. Ein langes, schwarzes Gewand umfloß ihren zierlichen Körper, und ihre Augen waren so groß, so feucht und so dunkel wie schmutzige Baggerseen. Dazu lief „Mystic Queen“ von Camel, und ihre pechschwarzen Haare wehten wie die Haare der Frauen in der Poly Diadem-Werbung.

Ich war von den Socken, aber glücklicherweise nicht vom Hocker. Sie setzte sich auf den freien Hocker neben mir. „Ich bin Malika“, säuselte sie. Na, das ist doch bestimmt ein Künstlername, dachte ich mir. Dem wollte ich nicht nachstehen. „Hallo, ich bin Astoroth“, sagte ich und gab ihr die Hand. „Möchtest du, dass ich in deine Zukunft sehe?“ hauchte sie, während sie meine Hand länger als nötig festhielt. „Hm, und wie willst du das anstellen?“ fragte ich zurück. „Ich besitze die Gabe des astrologischen Handlesens“, erwiderte sie. „Die Linien auf deiner Hand korrespondieren mit den Konstellationen deiner Gestirne, welche wiederum dein Schicksal bestimmen.“ – „Na, dann los“, sagte ich fröhlich.

Sie drehte meine Hand um, beugte sich darüber und zog mit ihrem Fingernagel einige Linien nach, was ziemlich kitzelte. „Aha ... der Merkur steht in den Fischen und damit in deinem zweiten Solarhaus. Das bedeutet ...“ – „Ich habe gar kein Solarhaus, Signorina“, unterbrach ich sie. „Und zwei schon gar nicht. Und selbst wenn ich ein Solarhaus hätte, würde ich bestimmt keine Fische drin aufbewahren. Besäße ich allerdings ein Solarhaus, in dem ich Fische aufbewahrte, so würde ich einem Merkur, der in ihnen herumtrampelte, Saures geben.“ Sie zog eine Flappe. Das sah so süß aus, dass ich sie umgehend knutschen musste.

Nach zehn Minuten trennten sich unsere Lippen. „Wie kannst du dich über meine seherischen Fähigkeiten lustig machen und mich im nächsten Moment so abknutschen?“ fragte sie erstaunt. „Ein kluger Mann hat mal gesagt: Wie marottig muss man selbst sein, wenn man die Marotten der anderen nicht marottieren, äh, tolerieren kann“, erwiderte ich. „Willst du damit sagen, dass meine astrologische Handlesefähigkeit eine Marotte ist?“ - „Äh ... ja“, gab ich kleinlaut zu. „Na gut“, seufzte sie, „ich hab mir das nur ausgedacht, um dich anzubaggern.“ Diese Ehrlichkeit imponierte mir. „Als nächstes hättest du mir wahrscheinlich gesagt, dass dieser Abend für mich ganz im Zeichen der Venus steht, was mit einer unglaublichen erotisch-kosmischen Spannung einhergeht“, sagte ich schmunzelnd. „Schon möglich“; schnaufte sie resigniert. „Und damit hättest du sogar recht gehabt“, sagte ich und schaute ihr in ihre Baggersee-Augen. Wir küssten uns. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann küssen wir noch heute.

Das Shagall befindet sich am Rembertiring 4. Öffnungszeiten: Do. 22 - ca. 3 Uhr (Dark Wave, Gothic, Elektropop), Fr. 22 - ca. 5 Uhr (Rock, Pop, Aktuelles, Crossover), Sa. 22 - ca. 6 Uhr (Tanznacht mit Hitlist, Dance Classix ÄsicÜ, Pop). Ein Beck's 0,3 kostet 2,50 EUR.