Ein Kenner der Materie

Philosophie ohne Rückspiegel: Wo Ulf Poschardt ist, ist immer vorne – folgerichtig räsoniert er in einem neuen Merve-Bändchen „Über Sportwagen“. Seit er bei der „Welt am Sonntag“ leitartikelt, scheint er zwar ein wenig von der richtigen Spur abgekommen. Aber wer sollte ihn schon überholen?

Dass sein Oberflä-chenwahn reaktionär sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn

von CORNELIUS TITTEL

Wenn Wünsche in Erfüllung gingen, hätten seine Tage 40 Stunden. 8 für jeden Poschardt: Schlafen kann man schließlich, wenn man tot ist. Am Wochenende hätte der Poschardt, der schon mal „Alter“ sagt und E-Mails mit „Can you dig it?“ beendet, alle Zeit der Welt, im Club seiner Wahl die Sau rauszulassen. Die anderen könnten dann in Ruhe Heidegger lesen, an ihrem Ferrari rumschrauben oder mit Friede Springer zu Abend essen. Es ist nämlich so: Den einen Poschardt gibt es nicht – es sind mindestens fünf. Und: Sie sind unter, manchmal auch über uns.

Einen kann man ganz weit oben, im 16. Stock des Axel-Springer-Hochhauses treffen. Dr. Ulf Poschardt, 34, Creative Director der Welt am Sonntag und Mitglied der Chefredaktion. Seit knapp einem Jahr versucht er, Springers erzkonservativem Frühstücksblatt eine neue Zielgruppe zu erschließen. Jung soll sie sein, kulturell interessiert und auch ohne CDU-Parteibuch bereit, allsonntäglich die neue Konkurrenz aus Frankfurt links liegen zu lassen. Ein Job, um den ihn wenige beneiden, den er dennoch „voller Freude und Elan“ erledigt. Dass selbst gute Freunde Poschardts gestehen, nicht zu wissen, was genau er dort treibe, mehr noch: „dieses Blatt“ grundsätzlich nicht in die Hand zu nehmen, scheint ihn eher anzutreiben. Er liebe Herausforderungen, sagt er, und delegiert die leidige Guido-Knopp-Geschichte an einen Volontär, der vor lauter Dankbarkeit rückwärts das Zimmer verlässt. Dr. Poschardt wirft einen kurzen Blick auf seine Rolex, lockert die Krawatte und lässt den Chefblick über die Dächer Berlins gleiten, als wolle er sagen: So und nicht anders lässt es sich arbeiten.

Vielleicht würde Poschardt, der Philosoph, den Springer-Manager gleichen Namens nicht eines Blickes würdigen, wäre er nicht ein und dieselbe Person. Poschardt, der Philosoph, ist leger gekleidet und bewohnt einen imposanten, von Springer finanzierten Luxusloft, in dem rein gar nichts vom Denken ablenken könnte; ein integrierter Concierge-Service sorgt dafür, dass auch der zeitraubende Einkauf entfällt. Das einzige Bild – ein Polke, wie Poschardt dem Besucher umgehend erklärt – lehnt betont lässig an der Wand, und nicht ein Buchrücken im zwölf Meter langen Regal tanzt aus der Reihe. Ein Ort, an dem gelesen statt gelebt wird.

Poschardt, der Philosoph, liest viel, und was er liest, das merkt er sich. Wenn sich der DJ Poschardt, der Styleexperte oder der Ferrari-Fahrer mit seiner bis zum Nerdtum durchdeklinierten Leidenschaft an den Philosophen wendet, schreibt dieser ein Buch. „Da bin ich recht einfallslos“, sagt er, und das, obwohl „Über Sportwagen“, sein viertes, kürzlich bei Merve erschienenes Buch, genug Einfälle für ein fünftes hätte. Poschardt weiß das und ist „happy damit“. Richtig stolz macht ihn – nach drei Büchern für Rogner & Bernhard – der neue Verlag: „Wie ein DJ zwangsläufig Strictly-Rhythm-Fan ist, muss jemand, der Philosophie studiert hat, nicht bis drei zählen, um Merve-Fan zu werden“, sagt er und nimmt einen Schluck vom mitgebrachten Beck’s Bier. „Und wenn man dann selbst auf diesem Label landet und das Label sagt: Du bist unsere Lieblingssingle im Frühjahr, dann denkt man sich: Not bad.“

Ein Grund, zu feiern: Wenn der Philosoph Poschardt zur „Book Release Party“ lädt, dürfen auch die anderen Poschardts ihre Freunde, Kollegen und Groupies mitbringen. Dann wird es voll in Berlin-Mitte, und das Merve-Völkchen wundert sich. FAZ-Feuilleton-Größen drängen sich an de:bug-Redakteuren vorbei. Stadtbekannte Models lassen sich von stadtbekannten DJs Feuer geben. Alexa Hennig von Lange schiebt genervt ihren Nachwuchs durch den Laden, und Rainald Goetz stört es nicht, von einer offensichtlich druppen Rave-Maus zugetextet zu werden. Mittendrin Ulf Poschardt, der sich, nun nicht mehr Philosoph, sichtlich freut, den wichtigsten Türsteher der Stadt begrüßen zu dürfen „Alter, was geht? Cool, dass du kommst“, sagt er, während sich von hinten der ZDF-Vorzeige-Intellektuelle Volker Panzer mit Baseballkäppi durch die Menge kämpft. Vorbei an Maxim Biller, der den „Nachtstudio“-Button an Panzers Käppi anstarrt, als wäre eine Neuauflage seiner 100-Zeilen-Hass-Kolumne schon beschlossene Sache. Kurz: eine Party, wie sie so nur Poschardt hinkriegt. Eine, die enorme Synergieeffekte ergäbe, wäre sie nicht so hoffnungslos überfüllt. Und das ist es dann auch: das Geheimnis seines Erfolgs. Poschardt selbst ist der Fleisch gewordene Synergieeffekt, ein wandelndes Roundtabletreffen extremer Persönlichkeiten, die eines gemeinsam haben: den unbedingten Blick nach vorn.

Es ist nur konsequent, dass Poschardt ungern zurückblickt. Poschardt, der Synergieeffekt, gibt ständig Vollgas. Poschardt, der Sportwagenfahrer, fährt auf 50 Zentimeter auf. Es gibt eine schöne Passage in „Über Sportwagen“: Der kleine Rückspiegel eines Ferraris, schreibt Poschardt, sei wenig mehr als ein Alibi, die Fensterfront hingegen groß und klar, um auf neue Herausforderungen vorbereitet zu sein. „Man ist eh zu schnell“, sagt Poschardt, der mit 20 seinen ersten SZ-Feuilleton-Artikel schreibt, mit 24 New-York-Korrespondent der deutschen Vogue wird. „Wer sollte einen überholen?“, fragt Poschardt, der drei Jahre später seine Doktorarbeit als „DJ Culture“ veröffentlicht, nur um kurz darauf Chefredakteur des SZ-Magazins zu werden. Und tatsächlich: wer?

Der winzige Rückspiegel und die riesige Frontscheibe seines Autos, erzählt Poschardt, symbolisierten nicht weniger als das Ende der Psychoanalyse. Theorie, seine ganzen Interessen, all das habe er immer auch als Anti-Selbstreflexions-Programm verstanden. Als Möglichkeit, in vollkommen freier und abstrakter Weise über Existenz nachzudenken – „ohne dieses beschissene Wort ‚Ich‘ zu schreiben, vor dem ich mich wirklich ekle“.

Poschardt, den viele für einen Ausnahme-Egomanen halten, meint das wirklich so. Er ekelt sich vor dem Wort wie andere vor Spinnen und muss es doch in den Mund nehmen: „Ich find’s schlimm, wenn Freundeskreise zusammensitzen und jeder erzählt von sich, und dann kommt noch ein Du dazu und dann noch ein Wir. Ich find’s besser, wenn das Wort ‚ich‘ nicht vorkommt. Wenn man zusammensitzt und einen ganzen Abend nur über ein Aaliyah-T-Shirt redet oder einen Nike-Turnschuh. Das waren immer die Gespräche, in denen ich am besten abgeschnitten habe.“

Er, den viele für einen Ausnahme-Egomanen halten, ekelt sich vor dem Wort „Ich“

Kein Wunder, dass Gespräche mit Poschardt von Zeit zu Zeit etwas Einseitiges bekommen, aus einem Dialog schnell ein Monolog wird. Poschardt ist ein enzyklopädisch gebildeter Detailfetischist, der seinen Fetisch stets mit protestantischer Ernsthaftigkeit vor sich herträgt. Nach zwei, drei Bieren an der Nachtclubtheke kann es tatsächlich passieren, dass der Sohn eines pietistisch-methodistischen Laienpredigers seinen Nachbarn ausgiebigst über die Vorzüge der Innennähte seines brandneuen 1.000-Mark-Pullovers aufklärt. Wo anderer Leute Interesse an Modeartikeln, Hegel-Interpretationen und V-8-Motoren an der Oberfläche bleibt, steht Poschardt immer schon knietief in der Materie. Gerade dieser in seiner Bandbreite einmalige Wissenswahn dürfte Poschardt auf seinem kurzen Weg zum Blattmacher und Creative Director nicht abträglich gewesen sein.

Christian Kämmerling, einer der Gründer des SZ-Magazins und neben Poschardt zweiter Chefredakteur, kennt niemanden, der ein derart imponierendes „Kaleidoskop an Interessen und Passionen“ vorweisen könnte. „Mit der Wahl von Poschardt zum Kochefredakteur“ erinnert sich Kämmerling, der wie Poschardt infolge der Tom-Kummer-Affäre um gefakte Interviews seinen Schreibtisch räumen musste, „mit seiner Wahl hatte ich quasi fünf Kochefredakteure auf einmal. Und alle waren kompetent.“

Es muss eine Bombenzeit gewesen sein, damals in München. Das SZ-Magazin rockte, und egal ob man Poschardt und seinen „Borderline-Journalismus“ mochte oder nicht: Langweilig war es nie. Karadžić gibt hier sein letztes Interview, einen Tag bevor er abtaucht. RAF-Terrorist Christian Klar wird per zeitraubenden Kassiberschmuggel befragt, und der abgewählte Kohl spricht lieber mit Poschardt als mit den gestandenen Herren vom Mutterblatt.

Und auch die Fashion Victims bekommen, was sie in Deutschland bis dahin vergeblich suchten. Poschardt gewinnt die besten Fotografen fürs Blatt und publiziert Modestrecken, die, wie Juergen Tellers „Mode und Moral“-Aufnahmen der verprügelten Kristen McMenamy, bis heute zu den wichtigsten der Neunzigerjahre zählen. Poschardt wäre nicht Poschardt gewesen, hätte nicht Kate Moss das einzige Gespräch während ihres Drogenentzugs mit seinem Magazin geführt: „Und das alles in der fuckin’ Beilage einer Zeitung, deren Namen kein US-Model aussprechen kann“, sagt Poschardt heute. Und: „Das alles ist cool und hat Bestand.“

Man merkt ihm an, dass er gerne Chefredakteur dieser „fuckin’ Beilage“ geblieben wäre, dass er heute noch unter seinem als zutiefst ungerecht empfundenen Rauswurf leidet. Ausgerechnet ihn hat es getroffen, ihn, der mit Tom Kummer längst gebrochen hatte, als viele andere noch bedenkenlos seine Borderline-Prosa druckten – vom Schweizer Magazin bis zu den Berliner Seiten der FAZ. Irgendetwas muss Poschardt damals falsch gemacht haben – er selbst räumt ein, zu sehr „task-“ und zu wenig „people-oriented“ agiert zu haben, und scheint nicht zu merken, dass schon sein Vokabular Teil seines Poblems sein könnte: Rückhalt jedenfalls konnte er nicht erwarten.

In München, erzählt Poschardt, habe es sehr viel Häme gegeben. Anonyme Postkarten landeten in Poschardts Briefkasten, und „Endlich erwischt es dich“ sei noch die freundlichste von vielen auf seinem Anrufbeantworter hinterlassenen Nachrichten gewesen. „Dieser Rauswurf war für mehr Menschen, als ich dachte, eine große Genugtuung. Diese Lektion galt es zu lernen. Auch die Überreaktion in den Medien – völlig überproportioniert und einäugig – verdeutlichte, dass die eigene Arbeit, mehr als bis dahin angenommen, für viele eine Provokation gewesen sein muss.“

Ulf Poschardt ist der Fleisch gewordene Synergieeffekt: Das erklärt seinen Erfolg.

Und nun Berlin: Spätestens seit seinem Rauswurf müsste Poschardt klar sein, dass er selbst die Provokation ist, nimmt doch niemand Kenntnis von seiner Arbeit als Creative Director der WamS. Dass der Leitartikler Poschardt dort – „ausgesprochen liberal“, wie er findet – die Wehrhaftigkeit deutscher Intellektueller bemängelt, die doch eigentlich „Soldaten unserer Zivilisation“ seien, sorgt ebenso wenig für Gesprächsstoff wie seine Feststellung, die US-Soldaten der Delta Force riskierten ihr Leben nicht zuletzt dafür, dass Walser, Grass und andere weiter besserwissern dürften. Doch obwohl gerade solch fragwürdige Einlassungen wirkungslos verpuffen, ist Poschardt regelmäßig „talk of town“: Ob er in äußerst attraktiver Begleitung ein In-Restaurant aufsucht, um dort Quartett zu spielen, oder einfach nur den Motor seines Ferraris vor einem Szenetreff aufheulen lässt: Fast immer findet sich ein Fahrrad fahrender Kollege, der derlei für berichtenswert hielt.

„Peinlichkeit, wo sitzt dein Stachel?“, fragen dann die einen, während die andern nur nach einem Anlass suchen, Headlines wie „Generation Rolex“ zu verbraten. Er selbst greift dann zum Hörer und verbittet sich solche Unverschämtheiten, schließlich folge doch „die soziale Distinktion einer intellektuellen“. „Provinziell“ sei das und „reaktionär derjenige, der die Oberfläche für dumm hält“. Dass sein eigener Oberflächenwahn reaktionär sein könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Entschleunigung und Introspektive sind keine Optionen für Poschardt – wie auch, wenn der Rückspiegel zu klein ist, um einen Blick zurückzuwerfen? Sein diffuser „Ich-Ekel“ scheint ihm zu verbieten, seinen Panzer aus Leistungsprinzip und Statusneurose abzulegen.

Dass sie dann dennoch alle kommen, wenn Poschardt zur Book-Release-Party lädt – neben den Berühmtheiten auch die Dummen, Provinziellen und Reaktionären –, nimmt er als Bestätigung. Gleichzeitig ist es die logische Konsequenz des bedingungslosen Schizo-Glamours, den Poschardt um seine Person verbreitet. Man scheint ihn wirklich zu brauchen: sei es, um ihn scheitern zu sehen wie eine Bret-Easton-Ellis-Figur. Sei es nur, um sich selbst zu versichern, weit weniger fleißig, flexibel, belesen und cool zu sein. Und dennoch: ganz glücklich.

So will man gar nicht wissen, welcher Poschardt genau einem gegen Ende des Gesprächs anbietet, eine Spritztour im Ferrari springen zu lassen, wenn ihm das verfasste Porträt gefalle. So oder so: Man würde mitfahren. Wirklich böse sein kann man ihm nicht.