In würgewütigen Händen

■ Heinrich Manns „Professor Unrat“ in Oldenburg: Er macht kaputt, was ihn kaputt macht

Eine riesige Rampe aus blau-grünen Türen erstreckt sich in den Raum. Falltüren sind es bisweilen, abschüssige Ebenen, verzogene Perspektiven. Dahinter: Eine Art Mühle, aus ebensolchen Türen, kleine Kabinen, von schummerigem Licht erfüllt. Ein Bühnenbild von expressionistischer Kraft, als hätte Ludwig Meitner die Architektur bestimmt. Darin: Ein wütender Professor Unrat, der seine Schüler zusammenstaucht: „Ins Kabuff“, die Unterwelt der Rampe, werden sie jäh weggebellt.

Es ist schon ein ziemliches Unterfangen, einen Heinrich-Mann-Text auf die Bühne zu bringen und dabei über drei Stunden die Spannung halten zu wollen. Mit der dramatischen Bearbeitung des „Professor Unrat“ von Peter Zadek und Gottfried Greiffenhagen wagte das jetzt Thomas Goritzky am Oldenburgischen Staatstheater. Die Autoren legten das Ganze als Komödie an, Goritzky besetzte entsprechend.

Thomas Lichtenstein als Unrat kann aus der Fülle seiner Repertoires schöpfen: Scharf despotisch, leicht wahnhaft, sarkastisch, darunter flackert jene überbordende Sinnlichkeit, die den wackeren Humanisten Unrat in die zerstörerische Anarchie der Lüste stürzt, die sein Untergang wird. Und der heißt: Rosa Fröhlich (Anne Eversbusch), Barfußtänzerin im „Blauen Engel“. So jedenfalls wollte es die gleichnamige Verfilmung des Romanstoffes von 1930.

Doch Roman und Stück sehen den wackeren Professor eben nicht als Opfer seiner Geilheit. Thomas Lichtensteins Unrat jedenfalls ist kein Lustgreis, der an seinen Trieben zugrunde geht. Im Gegenteil: Er macht kaputt, was ihn kaputt macht, also die philologisch durchtränkte bürgerliche Moral, die miefige Provinzialität, der er den Spiegel vorhält. Jene unterdrückten Regungen also entlarvt, die nach dem ersten Weltkrieg durchbrachen und sich in der Libertinage der Roaring Twenties ergossen – kurz gefasst.

Diesen Fokus legt das Stück. Die Inszenierung lässt es dabei leider nicht bewenden und wird unscharf. Wenn Unrat im Unterhemd und prolliger Freizeithose von Woolworth seine schlüpfrige Sylvestersoiree schmeißt, dann hat sich nicht nur der Spießer seines Korsetts entkleidet – dann wird auch ein Aktualitätsbezug hergestellt, der allerdings präziser hätte sein müssen. Diese Verquickung von Geilheit, Geld und Macht, ihre Zurschaustellung auf Kosten von Glaubwürdigkeiten, die der Jugend (und hier den Schülern) noch Vorbild sein könnte; das alles riecht nach einer Kritik an der neuen Berliner Republik, deren Embleme und Gebaren ja tatsächlich einige Bilder aus den zwanziger Jahren heraufbeschwören. Doch eben da sollte man vorsichtig sein, sonst wird diese Kritik reaktionär, von wegen: Was soll die Jugend denken, wenn sich die Vorbilder so gebärden.

Im Stück ist folglich Lohmann, Schüler, der integre Gegenpol zu Sex- und Geldgier, Völlerei, sinn-entleerter Genusssucht. Er ist verliebt in die Frau Consul. Doch hält er sie lieber in entrückter Ferne, als seine Illusionen über ihre Reinheit zu zerstören. Auch Frau Consul hat ihre Liebhaber. Lohmann wendet sich der Varietékünstlerin Fröhlich zu, denn die kann er mit Recht erniedrigen. Und damit gerät er ins Visier von Unrat, dem er sich – ganz Gutmensch – zum Schluss sogar freiwillig in die würgewütigen Hände gibt.

Der andere Pol, das ist freilich Rosa, die Unrat ehelicht und endlich auch tatsächlich würgt. Genau das macht auch Anne Eversbusch mit dieser Rolle, die sie mit zu viel Verve oft genug an die Wand fährt. Denn das Gebrochene der Figur geht bei so viel Straps und Strass, berlinischer Arroganz und feister Zotigkeit unter. Zwar zeichnen die Varietészenen mit Murath Yeginer als Messerwerfer in Tigershorts und Elfi Hoppe als seine knapp bestrasste alternde Gefährtin Bilder von Dix'scher Groteskheit. Aber leider werden diese sehr atmosphärischen Tableaus dann wieder von zu naturalistischer Ausstattung abgelöst, die wunderbare Rampe (von Monika Gora) wird in ihren Spielmöglichkeiten nicht genutzt.

So ist es denn auch mit der Zumutung: Sie bleibt im Rahmen dessen, was ein bildungsbürgerliches Publikum verträgt, ohne Gefahr zu laufen, sich an den freundlich gesponserten Premierenhäppchen zu verschlucken. Und damit ist dieser Unrat dann doch seltsam aktuell. Marijke Gerwin

Spieldauer: Bis zum 11. Juni