„Es gibt ein Leben vor der Rente“

■ Seit diesem Jahr müssen wir uns unsere Altersversorgung zum Teil selbst organisieren – die Folge ist vor allem erstmal Verwirrung. Keine Panik: Die besten Angebote sind laut Verbraucherzentrale noch gar nicht auf dem Markt

Rente? Alles unklar. Klar ist nur, dass sie nicht mehr reichen wird, die Staatsknete für künftige Rentnergenerationen. Also muss man selber vorsorgen, mit der Riester-Rente (siehe Kasten). Das Wort ist längst in aller Munde, allein was es denn nun für jeden einzelnen bedeutet, wissen die wenigsten. Die taz sprach mit Arno Gottschalk, in der Bremer Verbraucherzentrale zuständig für den Bereich Finanzdienstleistungen, über Marktsituationen und Befindlichkeiten.

taz: Sollte man sich jetzt beeilen, eine eigene Altersvorsorge abzuschließen?

Arno Gottschalk: Im Moment sollte man keine Eile an den Tag legen. Zwar sind bereits jetzt über 3.500 Produkte zertifiziert, das heißt für förderfähig erklärt worden, aber wir sind mit der Auswertung dieser Produkte noch ganz am Anfang. Zum anderen: Um die Riester-Förderung zu nutzen, muss man nicht unbedingt Produkte der Versicherungsgesellschaften, Banken und Investmentfonds kaufen, sondern kann auch die betriebliche Altersvorsorge nutzen. Da versprechen vor allem Pensionsfonds interessant zu werden – die sind aber überhaupt noch nicht zugelassen. Das heißt, dass möglicherweise sehr lukrative Produkte noch gar nicht auf dem Markt sind. Deshalb sollte man sich jetzt noch zurückhalten.

Entgeht einem dann nicht Fördergeld?

Nein. Um die diesjährige Förderprämie mitzunehmen, reicht es, wenn man noch im Dezember einen Vertrag abschließt und den Jahresbeitrag einzahlt.

Rennen Ihnen die Ratsuchenden in Sachen Riester-Rente die Tür ein?

Die Verbraucherzentralen haben ja sehr frühzeitig gemahnt, sich zurückzuhalten. Deshalb bieten wir auch im Moment keine persönlichen Beratungen speziell zur Riester-Rente an. Erst, wenn wir die Produkte durchleuchtet und die Spreu vom Weizen getrennt haben. Die Bundesregierung betet ja rauf und runter, dass besonders Menschen mit geringerem Einkommen von der neuen Regelung profitieren würden.

Stimmt. Relativ zu ihren Einsätzen profitieren Schlechterverdiendende insbesondere mit Kindern stärker. Aber wenn man die Summe der Förderung anguckt, ist es erstaunlich, was auch die Besserverdienenden an Steuervorteilen mitnehmen können. Die Aussage, die Riester-Rente sei vor allem für kleinere Einkommen geeignet, halte ich für einen Irrtum: Das stimmt so nicht.

Können Sie schon absehen, welcher Weg der Vorsorge für Menschen mit Arbeit der bessere ist: die individuelle Privatvorsorge oder die betriebliche Altersversorgung?

Jeder Arbeitnehmer hat jetzt einen gesetzlichen Anspruch, dass bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung vom Bruttogehalt umgewandelt werden können in Rentenansprüche. Das ist eine Möglichkeit, mit der man schon jetzt bis zu 2.160 Euro gefördert anlegen kann – viel mehr als mit der Riester-Rente. Dieser umgewandelte Teil gilt dann nicht als Erwerbseinkommen und ist erstmal nicht steuerpflichtig und bis 2008 auch nicht sozialabgabepflichtig – das kommt natürlich auch gerade den Beziehern höherer Einkommen zugute. Im Moment stellt es sich also so dar, dass für viele die Gehaltsumwandlung im Betrieb der Weg ist, durch den sie weitaus mehr Förderung bekommen. Das heißt aber nicht, dass Riester dann uninteressant wäre. Denn bei Riester ist es so, dass ich nicht nur meinen eigenen Sparanteil von der Steuer absetzen kann, sondern auch die Zulagen werden angerechnet.

Das alles klingt so, als spräche im Moment viel für die betriebliche Altersversorgung.

Abwarten. Wir erwarten zwar, dass die betrieblichen Altersvorsorgekonzepte weniger Abschluss-, Vertriebs- und Verwaltungskosten mit sich bringen als die Individualverträge. Den genauen Nachweis jedoch, dass sie wirklich günstiger sind, gibt es noch nicht. Ich beobachte mit Sorge, dass insbesondere viele kleine und mittlere Unternehmen Probleme haben, die angebotenen Produkte zu bewerten. Da besteht die Gefahr, dass sie beim Erstbesten unterschreiben.

Wie sieht es denn mit den Verwaltungs- und anderen Nebenkosten auf der anderen Schiene, der Riester-Rente, aus?

Das Problem ist, dass Riester zwar die Vorgabe gemacht hat, dass die Kosten offengelegt werden müssen. Aber er hat nicht damit gerechnet, dass große Teile der Branche ihre ganze Kreativität darauf verwenden, die Kostenangaben so zu gestalten, dass kein Mensch mehr durchblickt. Die Kostenquoten, die sich da abzeichnen, liegen oftmals jenseits der zehn Prozent und mehr.

Die ganze Branche ist im Moment in Goldgräberstimmung, oder?

Nicht die ganze Branche. Viele Anbieter haben erkannt, wie kompliziert das Riester-Produkt ist und mit welch hohem Aufwand es verbunden ist. Außerdem zögert die Kundschaft, also kann erstmal noch gar nicht so viel verdient werden. Allenfalls längerfristig. Ich habe aber den Eindruck, dass sich viele auf die betriebliche Schiene konzentrieren werden, und da wird nicht die gesamte Branche gewinnen. Eine der ganz großen Gewinnerinnen wird wahrscheinlich die Allianz sein, die auf allen Kanälen präsent ist.

Eigenverantwortlichkeit ist jetzt angesagt, sich schlau machen und den besten Weg der Vorsorge für sich herausfinden. Werden da nicht viele Menschen auf der Strecke bleiben?

Möglich. Fakt ist, wir müssen jetzt zusätzlich für die Rente vorsorgen. Zum einen haben das viele noch gar nicht wirklich begriffen. Und zum anderen gibt es viele Menschen, die können es gar nicht, weil ihnen das Einkommen fehlt. All das spielt zudem vor dem Hintergrund einer großen Unerfahrenheit mit Geld. Es ist ja eine seltsame Erscheinung, dass in einer Geldwirtschaft wie Deutschland das Thema Geld in der schulischen Ausbildung geradezu tabuisiert wird. So stehen die Meisten diesen Fragen mehr oder minder hilflos gegenüber, ohne eigenes fundiertes Beurteilungsvermögen. Dieses verbreitete Nichtwissen trifft dann auf viele so genannte Berater, die aber nicht fürs Beraten, sondern fürs Verkaufen bezahlt werden. Viele Menschen glauben, die Beratung sei umsonst, und sie fragen sich nicht, wovon ihr Berater denn lebt. Bei einer so wichtigen Sache wie der Altersvorsorge ist die Beratung mit das Wichtigste, und die kann nicht umsonst sein – jedenfalls dann nicht, wenn sie neutral sein soll.

Wie verhalten sich denn in der aktuellen Situation die Berater für Produkte der Altersvorsorge?

Wir beobachten, dass sich bei denjenigen, die die neuen Produkte verkaufen, Unzufriedenheit verbreitet. Denn die Abschlussprovisionen sind über zehn Jahre zu verteilen. Die Riester-Rente wird daher als Türöffner für weitere Produkte gesehen. Man versucht also, die Versorgungslücke im Alter zu identifizieren. Dann wird möglicherweise aus einer gewissen Euphorie oder Beklemmung schnell unterschrieben und nach ein paar Jahren stellt man fest: Es gibt ein Leben vor der Rente. Und das Geld wird für etwas anderes benötigt. Das ist ja schon jetzt der Fall, dass viele Renten und Lebensversicherungen, die mit viel Optimismus abgeschlossen werden, im Alltag scheitern, weil übersehen wurde, dass es neben dem langfristigen Anlageziel noch kurz- und mittelfristige Ziele gibt, für die man auch Geld braucht. Ein klassisches Beispiel: Einerseits läuft die Lebensversicherung, andererseits ein Kredit für das neue Auto. Das ist nicht Vermögensbildung, sondern Vermögensvernichtung.

Ihr Tipp: Was soll ein wegen seiner Altersvorsorge nervöser Mittdreißiger hier und heute tun?

Er sollte sich ein paar Gedanken machen und ein paar Fragen stellen. Vor der Altersvorsorge kommt die Risikovorsorge – ist die vorhanden? Was habe ich mittelfristig für Ziele, wofür ich Geld brauche und wie passt die Altersvorsorge da rein? Dann sollte er sich schlau machen, inwieweit in seinem Betrieb eine Altersvorsorge angeboten wird. Er sollte die neutralen Informationsmöglichkeiten nutzen und mit Abschlüssen warten, bis die Verbraucherzentralen den Angebotsdschungel durchleuchtet und auch die zu erwartenden Pensionsfonds gecheckt haben.

Fragen: Susanne Gieffers