islam in deutschland
: Urteile ersetzen Integration nicht

Das Urteil zum islamischen Schächten klingt noch in den Ohren, da gibt es schon die nächste richterliche Entscheidung darüber, was Muslime in Deutschland dürfen oder nicht. In Niedersachsen jedenfalls dürfen muslimische Lehrerinnen künftig kein Kopftuch mehr im Unterricht tragen. Das entschied das Lüneburger Oberverwaltungsgericht, aber endgültig muss dieses Urteil nicht sein.

Kommentarvon YASSIN MUSHARBASH

Noch in diesem Jahr wird das Bundesverwaltungsgericht über einen anderen Kopftuch-Streit befinden müssen, danach möglicherweise noch das Bundesverfassungsgericht. Die Grenzen der Integration, das ist in den vergangenen Jahren immer deutlicher geworden, werden letztlich vor Gericht bestimmt. Das mag zwar garantieren, dass im Zusammenleben von Migranten und Mehrheitsgesellschaft die Grundrechte so wenig wie möglich verletzt werden. Der Annäherung untereinander und dem Verständnis füreinander dient dieses Erstreiten und Erzwingen aber nicht.

Was fehlt, ist eine breite Diskussion der streitbaren Themen – und zwar bevor die Gerichte urteilen. Staat und Politik sind hier gefordert, die muslimischen Dachverbände auch. Sonst droht das Szenario einer vollen rechtlichen Integration bei schwindender gesellschaftlicher Akzeptanz für dieselbe.

Es gilt, aus dem Kläger-Beklagter-Schema ausbrechen. Die muslimischen Dachverbände dürfen auf den zahlreichen Dialogveranstaltungen nicht nur über „weiche“ Themen sprechen, über die ohnehin Einigkeit besteht. Nichtmuslime wissen zwar, was Muslime wollen, nicht aber warum. Das islamische Schächten ist ein gutes Beispiel für ein den Muslimen wichtiges Anliegen, das zugleich kaum öffentlich diskutiert wurde. Das hat Misstrauen erregt. Die Muslime errangen in diesem Fall ein Recht, verloren aber gleichzeitig an Verständnis. Die Politiker müssen auf der anderen Seite aufhören zu klagen, sie hätten keinen einheitlichen Ansprechpartner auf islamischer Seite. Sie sollten lieber das überholte Kirchenrecht aus der Weimarer Zeit überarbeiten, das Muslimen nahezu unmöglich macht, als Glaubensgemeinschaft anerkannt zu werden. Auch in vielen anderen Bereichen könnte die Politik kreative Lösungen vorschlagen, etwa bei der Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie. Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe, an der die Gerichte selbstverständlich mitwirken. Aber sie ist weit mehr als die Summe von Urteilen.

inland SEITE 7