„Wir streiten über Frieden“

■ Eine Momentaufnahme: Bilder vom besetzten Palästina wecken Erinnerungen an Demütigung und Vertreibung / Aljezeera und ANN informieren über neue Eskalation

Die Situation könnte verfahrener nicht sein. Seit der Konflikt zwischen Israel und Palästina eskaliert, geht es auch im Haus der palästinensisch-libanesischen Familie E. zunehmend hoch her. „Über die Friedensfrage streiten mein Mann und ich uns immer“, sagt Malak E. Die 41-jährige Mutter eines 14-jährigen Jungen und eines 13-jährigen Mädchens ist kompromissloser. „Es ist unser Land. Ich will dort mit erhobenem Haupt gehen können“, sagt sie.

Seit Tagen hat sie kaum einen Schritt weg vom Fernseher gemacht. Manchmal ruft sie den Ehemann bei der Arbeit an, um ihm die neuesten Nachrichten zu übermitteln – wie das erneute Vordringen israelischer Militärs im Westjor-danland. Und am Nachmittag oder Abend schicken beide die Kinder aus dem Wohnzimmer. Dort läuft fast ununterbrochen die Satellitenprogramme der privaten arabischen Sender Aljazeera oder ANN.

„Mein Sohn konnte gestern kaum schlafen“, sagt die Mutter. Und während sie das sagt, torkelt ein angeschossener Uniformierter über den Bildschirm und bricht im Kugelhagel israelischer Gewehrsalven zusammen. Kurz darauf berichtet der palästinensische Gesundheitsminister, dass israelische Panzer die Krankenhäuser vom Ramallah im Westjordanland umzingeln. Ärzte könnten Verletzte draußen nicht behandeln. Eine Palästinenserin wird per Telefon zugeschaltet: Sie hat ihre Mutter tot im Wohnzimmer liegen. Die Frau – mit US-Pass – ist einer schweren Diabetes erlegen. Doch niemand kommt, damit der Leichnam schell bestattet werden könnte, wie es die Religion vorsieht. „Das ist schwer“, murmelt Familienvater Mounir E. Schon fesselt ihn der Bericht über Ramallah – eine scheinbar ausgestorbene Stadt. Totenstille bis auf einige Gewehrschüsse. Scharfschützen bewegen sich hinter Gardinen – in Wohnungen, deren Besitzer in Kellern und Schulen zusammengezwungen werden. Darunter auch Verwandte von Malika und Mounir, die vor Jahren aus dem Libanon nach Deutschland kamen und jetzt doch ständig unter Strom stehen. Sie haben Brüder und Schwestern, Onkel und Tanten, die in Beirut, Jerusalem, Jaffa und Ramallah leben.

„Warum hilft den Palästinensern niemand?“, fragt Malika. Eine UN-Resolution nach der nächsten werde von Israel ignoriert, Menschen reihenweise erschossen – die doch im Vergleich kaum bewaffnet seien. Schon gibt es im arabischen Fernsehen eine Kolumne für „den Ritter, der zurückkehrt“ – eine bittere Ironie, die auf die wörtliche Übersetzung des Vor- und Familiennamens eines vielleicht 13-Jährigen anspielt, der in den Anfangstagen der jüngsten Intifada erschossen wurde. Auch die traurig berühmt-gewordenen Bilder von dem palästinensischen Vater, der seinen Sohn zu schützen versucht, während beide, an eine Wand gedrängt, im Kugelhagel zusammensinken, kehren immer wieder. Mounir sagt: „Diese Stelle ist heute platt gemacht.“ Überhaupt hätten die israelischen Soldaten „nicht das Niveau einer Armee. Sie plündern die Häuser im besetzten Gebiet.“ Es müsse zwei unabhängige Staaten geben. Aber so, wie die Palästinenser gedemütigt würden, könne man nicht zu Gesprächen kommen.

Die jüngsten Fernsehbilder beleben die persönliche Geschichte von Vertreibung und Demütigung des Paares. „Mein Bruder ist von den Israelis im palästinensischen Flüchtlingslager Shatila verschleppt worden“, sagt er. Seine Frau fügt hinzu hinzu: „Er war der einzige unpolitische Sohn seiner Eltern.“ Er sei im Lager geblieben. „Er hat geglaubt, dort könnte kein Massaker geschehen“, sagt Mounir, der die Verbrechen von damals geahndet sehen will. Seine Frau, die als Libanesin freiere Bewegungsmöglichkeiten hatte, musste ihm die Nachricht vom verschleppten Bruder überbringen. Sein Vater trägt bis heute den Schlüssel und das alte Besitzdokument des Hauses bei sich, das die Familie 1948 in Israel fluchtartig verließ – und damit verloren hat. „Heute leben da russische Juden drin“, sagt Mounir.

ede